Zwischen Rom und Mekka
in seinen Grundfesten erschüttern, in seinen Grundüberzeugungen bedrohen sollte. Ebenso wie Europa machtpolitisch und militärisch durch den Ansturm der Türken auf dem Balkan Richtung Wien gefährdet war, gipfelnd in der Belagerung der Hauptstadt des Habsburgerreiches 1683 durch ein osmanisches Heer.
Papst Innozenz XI., ein Norditaliener aus Como, dort am 19. Mai 1611, hinein in die Schrecken und Verwerfungen der innereuropäischen Glaubenskriege mit dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 als Höhepunkt geboren, dann am 21. September 1676 zum Papst gewählt (1689 gestorben), weiß sich nicht anders zu helfen, als Spinozas Darlegungen auf den Index der verbotenen Bücher zu setzen (1679). Es seien Darlegungen, schreibt der Verfasser, »mit denen gezeigt wird, dass die Freiheit zu philosophieren nicht nur zum Nutzen der Frömmigkeit und des Friedens im Staat zugestanden werden kann; sie kann vielmehr nur zusammen mit dem Frieden des Staates und der Frömmigkeit aufgehoben werden«. Was also soll an der fragenden Vernunft schlecht sein, wenn sie doch die Grundlage von Frömmigkeit und Frieden ist, sein kann. Spinoza entschied konsequent: ohne Freiheit keine wahre Religion. Für diese Maxime unternimmt er die Beweisführung gemäß seiner Vernunft. Aber das war in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht das Programm der christlichen Prediger in Europa. Es schien ihnen eine Falle der Vernunft. Für sie hieß es zuerst, die eigene Religion zu schützen; die Freiheit wird sich finden - oder auch nicht.
Ein Tractatus von beispielhafter Klarheit
Dagegen schreibt Spinoza an, in dem »Tractatus« mit beispielhafter Klarheit. Deshalb stellt dieses Werk fast eine Pflichtlektüre dar - seit mehr als drei Jahrhunderten für Religiöse in Europa, und nun erst recht für Muslime. Daraus können sie wohl ersehen, wie ihre Religion reifen wird in der Auseinandersetzung mit den Menschheitsforderungen und Menschenrechten von Freiheit und Vernunft - und davon öffentlich und im Widerstreit der Meinungen Gebrauch machen. Benedikt XVI. hat es ihnen in seiner Regensburger Vorlesung angeraten.
Das wird nur langsam reifen. Mehr als drei Jahrhunderte der geistigen Entwicklung können für die muslimische Milliardengemeinschaft nicht einfach im Galopp übersprungen werden. Muslime müssen zu Spinoza in die Schule gehen, weil die Christen
sie schon absolviert haben. Zumindest die meisten. Sicher dieser Papst, Benedikt XVI.
Am Anfang steht bei Spinoza ein Ungenügen. Wie es nicht wenige in der abendländischen Geistesgeschichte immer wieder befallen hat. Wie es auch heute viele Muslime mit sich herumtragen, eingestanden oder nicht, als Zweifel erlaubt oder nicht, rigoros verboten oder liberal hingenommen. Baruch Spinoza, aufgewachsen in jüdischen Traditionen und Lehren, kommt mit dem Gott seiner heiligen Schriften, der Juden und der Christen, nicht zurecht. Zum einen, weil dieser Gott nicht seinen großen Ideen von Gott genügt, vor allem jener Idee »des ewigen und unendlichen Wesens Gottes«, von der »der menschliche Geist eine adäquate Erkenntnis hat«. Zum anderen, weil Spinoza die Texte kritisch liest. Er nimmt ihnen die ehrfürchtige Aura der Unantastbarkeit. Er lässt nicht mehr blind den blendenden Glanz göttlicher Offenbarung gelten und verweigert das Joch von Unterwerfung und Gedankenlosigkeit.
Ein moderner Zweifler
Das ist nicht Willkür, einfach blasphemische Glaubensverweigerung, wie die frommen Kritiker der Synagoge und die offiziellen Vertreter der protestantischen Kirche in Amsterdam ihm vorwerfen. Aber so sehen es die Religiösen. Zuerst die Vorsteher der Amsterdamer Synagoge, und sie schlagen zu. Baruch Spinoza, der schon als Zwanzigjähriger intellektuell beeindruckt und einen kleinen Anhängerkreis um sich schart, ist ein moderner Zweifler, ein Widersprecher, der mit geistiger Frühreife an den Grundlagen der damaligen religiösen Selbstverständlichkeiten rüttelt. Das darf nicht sein in der jüdischen Gemeinde. Zuerst dringt ein Fanatiker mit dem Messer auf ihn ein. Dann, am 27. Juli 1656, erfolgt der Bruch mit dem Volk, mit der Religion seiner Väter. Mit 24 Jahren - noch nicht einmal volljährig; das wurde man nach den Regeln der Zeit erst mit 25 - muss Baruch für seine denkerische Selbstständigkeit die Konsequenzen tragen.
Die offizielle Erklärung des Ausschlusses aus der jüdischen
Gemeinschaft, in der Synagoge im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in Abwesenheit von Spinoza verkündet,
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