Zwischen Rom und Mekka
Unterschiede in Indien, sondern auch wegen der Defizite anderer Religionen in der Soziallehre. Da schwang auch Stolz mit, dass es Christen und der Papst doch etwas besser wüssten in der Sorge um die Menschen als andere Religionen.
Kein oberflächlicher Synkretismus
Auf dem Flug von Kalkutta nach Madras (heute: Chennai) am Mittwoch (5. Februar) zog Johannes Paul II. - im privaten Gespräch, wie er es zuweilen gern tat - eine Zwischenbilanz. Er sei »sehr zufrieden«, so der Papst wörtlich, mit dem Verlauf der Reise. »Ich bin aus zwei Gründen hierhergekommen: um der katholischen Kirche in Indien einen Besuch abzustatten und um sie zu ermutigen, sich dem Dialog mit den großen Religionen dieses Landes zu öffnen. Nicht in einem oberflächlichen Synkretismus, sondern für die großen und kleinen Themen des Menschen und der Menschheit. Wie in Casablanca gegenüber dem Islam«, fuhr der Papst mit Bezug auf sein Treffen in Marokko mit jugendlichen Muslimen und Vertretern des Islam ein halbes Jahr zuvor fort, »so hier gegenüber den Religionen Asiens. Ich kann mit großer Zufriedenheit feststellen, dass meine indischen Gesprächspartner dies verstanden und akzeptiert haben.«
Und weiter. Bei einem Treffen mit Vertretern nicht christlicher Religionen in Madras (5. Februar) formulierte Johannes Paul II. gleichsam ein Manifest für die zukünftigen Beziehungen zwischen den Religionen in Asien. Die Religiosität der Inder, so führte der Papst aus, ihr ausgeprägter Sinn für die Größe des
höchsten Seins sei ein machtvolles Zeugnis gegen den Materialismus und Atheismus des Lebens. Dieses große Erbe des religiösen Geistes in Indien ermögliche einen wahren Dialog zwischen den Religionen; denn »in einer Welt voll Armut, Elend, Unwissenheit und Leid vermag reiner Glaube nicht nur das Herz des Menschen, sondern auch die Welt zum Besseren zu verändern. Die katholische Kirche hat immer wieder ihre Überzeugung ausgesprochen, dass alle Menschen, Gläubige und Nichtgläubige, sich vereinen und, zusammenarbeiten müssen, um die Welt zu verbessern, in der wir alle leben. Der Dialog zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen mehrt und vertieft den gegenseitigen Respekt und bereitet den Weg für Beziehungen, die wesentlich sind, um die Probleme des menschlichen Leides zu lösen. Die Frucht dieses Dialogs ist die Einheit zwischen den Menschen und die Einheit der Menschen mit Gott. Als Angehörige verschiedener Religionen sollten wir uns dazu verbünden, die gemeinsamen Ideale in den Bereichen der religiösen Freiheit, der menschlichen Brüderlichkeit, der Erziehung und Kultur, der Sozialfürsorge und der bürgerlichen Ordnung zu fördern und zu verteidigen.«
Es galt demnach allen Religionen und »religiösen« Staaten, wie Johannes Paul II. die Inder mahnte, ihrer Verfassung getreu zu sein, die »allen Bürgern die Freiheit des Gedankens und der Meinungsäußerung, des Glaubens, des Bekenntnisses und des Kultus zusichert«. Deshalb müssten auch alle religiösen Führer beachten, dass in Indien die Bürger »ihre Religion bekennen, praktizieren und verbreiten« können. Das gelte für die Wirklichkeit des öffentlichen Lebens in jedem Land.
Die Sache des Menschen gegen die Religionen verteidigen
Wieder konnte ich den Papst direkt auf dem Rückflug nach Rom befragen: Er habe in den letzten Tagen so oft den religiösen Sinn der Inder herausgestellt, aber hindere nicht gerade der Hinduismus, die Religion, die Menschen an der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und schränke die Früchte ihrer weltlichen Tätigkeiten
ein? Johannes Paul II. antwortete, die Religion müsse dem Menschen in erster Linie einen Sinn geben; das sei vielleicht wichtiger, als ihn auf weltliche Tätigkeiten hin zu orientieren, für Ziele, die nicht immer human seien. In den Dialog zwischen den Religionen müsse die Christenheit, eingedenk der eigenen Vergangenheit, die Sache des Menschen mit einbringen.
Das Christentum hat in Europa, so die Einsicht, im Laufe von zwei Jahrtausenden Reinigungsbäder durchlaufen, deren Fehlen bei anderen Religionen schwer wiegt. Die Verbindung von Glaube und Vernunft, von Theologie und Wissenschaft, die protestantischen Ideale, die außerhalb und innerhalb der katholischen Kirche wirkten, die Aufbrüche des Geistes (in der Aufklärung), der Politik (in der Französischen Revolution, in den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit), der Ideen der sozialen Gerechtigkeit und des technischen Fortschritts (im 19.
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