Zwischen Rom und Mekka
positivistischen Vernunft, die Gott ausschließt«, vermieden, andererseits die Errungenschaften der Aufklärung, etwa die Menschenrechte mit der Freiheit der Meinung und der Religionsausübung, respektiert werden. Der Islam stehe vor dieser gewaltigen Aufgabe, wie auch die christliche Gemeinschaft nach der Versöhnung zwischen Glauben und moderner Welt weitersuchen müsse.
Wollte sich Benedikt damit schon wieder mit dem Islam anlegen,
obwohl er gerade erst die Reaktionen auf die vermeintliche Beleidigung seines Gründers Mohammed mühsam hatte beschwichtigen können? Gab das Oberhaupt der katholischen Kirche selbstherrlich den muslimischen Religionsführern und Deutern das Ideenprogramm für die nächste Zeit vor? Oder warb er wohlmeinend um Verständnis für eine Religionsgemeinschaft, auf die er größere Schwierigkeiten zukommen sieht? Wünschte sich oder befürchtete der Papst einen authentischen Islam?
Im Vatikan rätselte man zunächst über die genauen Motive für Benedikts neuerliche Äußerung. Aber jene Bischöfe, die den deutschen Theologen im Papstamt gut kennen, neigten der intellektuellen, der versöhnlichen, nicht kirchenpolitisch kämpferischen Interpretation zu.
Mit folgenden Argumenten: Wenigen muslimischen Islamwissenschaftlern dürften die Auswirkungen der Aufklärung auf das Christentum durch zweieinhalb Jahrhunderte hindurch so ganz präsent sein; und in noch geringerem Umfang jene »lange, mühsame Suche« der Bischöfe und unzähliger Theologen nach Lösungen im Konflikt zwischen Glaube und Vernunft, Kirche und moderner Welt. Aber der Papst kennt als Theologe sehr wohl diese grundsätzlichen Konflikte zwischen der autonomen, von keinen übernatürlichen Eingebungen geleiteten säkularen Ratio und dem Anspruch eines Glaubens an einen direkten göttlichen Offenbarungsbesitz.
Was damit in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts gemeint war, lehrte die geistigen Eliten Europas etwa Voltaire (1694 bis 1778) mit seinen weitverbreiteten Schriften. Wenn er damals gegen die Verbindung von »Thron und Altar« polemisierte, das gegenseitige Sich-Stützen von weltlicher und geistlicher Macht, des Königs und der Priester, inkarniert in den politischen Kardinälen, zur Unterdrückung freier, mündiger Bürger, so müsste man das heute für die muslimische Welt übersetzen in die Frage nach der Beziehung zwischen Religion und Politik, in die Forderungen nach Trennung von staatlicher Gesetzgebung und den religiösen Geboten des Koran. Was heute vielen Muslimen noch selbstverständlich erscheint - wenn es auch von Staat zu Staat
sehr verschieden ist -, war es einst auch Christen Jahrhunderte hindurch: in Form des »Fürsten von Gottes Gnaden« oder der religiös fundierten Gesellschaft als straffähiger Sittenwächterin. Wenn Voltaire immer wieder sein »Ecrasez l’Infame« (»Zerstört das Infame«) in die Öffentlichkeit hinausschleuderte, meinte er damit Unvernunft, Frömmelei und Sittenheuchelei, worin sich die christlichen Mächte und Mächtigen Europas eingerichtet hatten. Nicht zum Wohl der Untertanen.
Fragen an Gott - Gott infrage
Aber im 18. Jahrhundert waren die Europäer schon selbst etwas von Gott abgerückt, zumindest von dem überlieferten Bild eines christlichen Vater-Gottes, der sich um die Menschen sorgte: die pragmatischen Engländer zuerst, die nur noch einen »Deismus«, eine ferne Ursache des Weltgeschehens, gelten lie ßen, dann die nüchternen Franzosen, die sich von keinem Gott, gnädig oder nicht, in ihr Leben hineinreden lassen wollten. Vor allem traf die uralte Frage nach dem Bösen und dem menschlichen Leid in der Welt das Gottesverständnis der christlichen Welt. Diese Theodizee schüttelte Philosophen im Abendland.
Was geschieht, wenn Muslime nicht mehr nur Allah den Allmächtigen preisen, sondern ihm ganz rational Fragen über Fragen nach dem Sinn menschlichen Lebens stellen? Wie kann der Islam sich dieser gewaltigen Aufgabe der Versöhnung zwischen Glauben und moderner Welt stellen?
Mit der Aufklärung lösten die Naturwissenschaften in Europa den Glauben als Weltanschauung, Lebenshilfe und Alltagsbewältigung ab. Die exakten Geisteswissenschaftler, Historiker oder Archäologen, nahmen sich mit immer heißerem Bemühen der heiligen Texte der Bibel an und stellten fest, dass nicht immer der wortwörtliche Sinn zutreffend sein, nicht stets der Heilige Geist dort die Feder geführt haben könne. Wehe jedoch noch heute dem Muslim, der sich dem Koran - der, wie im Islam zu
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