Zwischen Sehnsucht und Verlangen
sie in ihr Büro.
„Setzt dich, Cassie. Komm.” Sanft, aber nachdrücklich, drückte sie die junge Frau in einen Sessel, der vor einem schmiedeeisernen kleinen Tischchen stand. „Um Gottes willen, was ist denn passiert? Ist es schlimm?”
„Ach, es ist nichts, ich bin nur …”
„Halt den Mund.” Sie konnte nicht anders, als dem Zorn, der beim Anblick ihrer Freundin in ihr aufgeflammt war, ein Ventil zu geben, und knallte den Teekessel auf die Platte des kleinen Kochers. „Entschuldige bitte. Ich mach uns erst mal einen Tee, ja?” Sie musste sich noch eine kleine Verschnaufpause verschaffen, ohne die sie nicht imstande sein würde, mit Cassie ruhig und vernünftig zu reden. „Bis das Wasser kocht, gehe ich kurz noch einmal zu meinen Kunden hinaus. Du bleibst hier sitzen und entspannst dich, verstanden?”
In Cassies Augen brannte die Scham. Sie sah Regan für den Bruchteil einer Sekunde an, dann senkte sie schnell den Blick, starrte auf ihre Hände und nickte bedrückt. „Danke”, murmelte sie kaum hörbar.
Zehn Minuten später war Regan wieder zurück. Sie hatte sich geschworen, ihre Wut zu zügeln, alles andere würde die Angelegenheit nicht besser machen und Cassie keinen Schritt weiterhelfen. Sie brauchte Unterstützung und keine Vorwürfe.
Doch alle guten Vorsätze waren vergebens. Das Bild des Jammers, das ihre Freundin, die zusammengekauert in dem Sessel hockte, bot, ließ sie von Neuem explodieren.
„Herrgott noch mal, warum lässt du dir das gefallen? Wann hast du bloß endlich die Schnauze voll davon, für diesen sadistischen Dreckskerl den Sandsack zu spielen, an dem er sich abreagieren kann? Muss man dich vielleicht erst ins Krankenhaus einliefern, ehe du zu Verstand kommst?”
Cassie, in äußerster Bedrängnis, legte die Arme auf das vor ihr stehende Tischchen, vergrub den Kopf darin und begann zu schluchzen.
Sofort spürte Regan, wie ihr ebenfalls die Tränen kamen, sie ging neben ihrer Freundin in die Knie und umarmte sie. „Ach, Cassie. Es tut mir so leid, es tut mir so leid. Ich hätte nicht so mit dir herumkeifen dürfen.”
„Ich hätte nicht herkommen sollen”, schluchzte Cassie, hob den Kopf, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und rang um Fassung. „Ich hätte wirklich nicht herkommen sollen, aber ich hab einfach jemanden gebraucht, mit dem ich reden kann.”
„Ach, Cassie, natürlich war es richtig von dir, herzukommen. Komm, lass mich mal sehen.” Regan versuchte Cassies Hände von ihrem Gesicht wegzuziehen. Nachdem es ihr schließlich gelungen war, sah sie das ganze Ausmaß dessen, was Joe angerichtet hatte. Der Bluterguss zog sich über die gesamte rechte Gesichtshälfte hin, von der Schläfe bis nach unten zum Kiefer, und das rechte Auge war lilablau verfärbt und fast ganz zugeschwollen.
„Oh, Cassie, was ist denn bloß passiert? Kannst du es mir nicht erzählen?”
„Er … Joe …”, begann Cassie, immer wieder von Neuem von Schluchzen geschüttelt, „er hat sich schon die ganze Zeit nicht gut gefühlt … Die Grippe … du weißt doch …” Sie holte tief Luft. „Er war in letzter Zeit so oft krank … und gestern … gestern haben sie ihm gekündigt.” Ohne Regan anzuschauen, bückte sie sich nach ihrer Handtasche und kramte ein Papiertaschentuch hervor. „Er war völlig fertig … Zwölf Jahre war er bei der Firma beschäftigt, und jetzt – aus und vorbei. Wenn ich bloß an die Rechnungen denke … Ich habe erst vor Kurzem eine neue Waschmaschine auf Kredit gekauft, und Connor wollte unbedingt diese neuen Tennisschuhe. War mir ja klar, dass sie viel zu teuer waren, aber …”
„Hör auf”, fiel ihr Regan bestimmt ins Wort und legte ihre Hand auf Cassies Arm. „Hör auf mit deinen ewigen Selbstanklagen. Ich kann es wirklich nicht ertragen.”
„Ich weiß, dass das alles nur Ausflüchte sind.” Cassie schöpfte zitternd Atem und schloss die Augen. Wenigstens Regan gegenüber sollte sie ehrlich sein. Ihre Freundin hatte es nicht verdient, belogen zu werden, denn sie war in den drei Jahren, die sie sich nun schon kannten, immer für sie da gewesen. „Also, um die Wahrheit zu sagen, er hatte überhaupt keine Grippe. Er ist schon seit fast einer Woche fast ununterbrochen betrunken.
Sie haben ihn nicht entlassen, sondern sie haben ihn auf der Stelle gefeuert, weil er sternhagelvoll an seinem Arbeitsplatz erschienen ist und sich natürlich sofort mit seinem Vorarbeiter angelegt hat.”
„Und dann ist er nach Hause gekommen und hat seine
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