Zwischen Sehnsucht und Verlangen
friedvolle Ruhe auszustrahlen. Vielleicht schlafen die Gespenster ja auch, überlegte sie.
Oder fühlte sie sich einfach nur entspannt, weil Rafe neben ihr lag?
Sie wandte den Kopf und betrachtete im fast schon erloschenen Lichtschein der Glut im Kamin sein Gesicht. Selbst im Schlaf hatte es nichts Unschuldiges an sich. Sowohl seine Stärke als auch die Härte hatten sich unübersehbar in seine Züge eingegraben.
Aber sie wusste, dass er auch zärtlich sein konnte. Sehr zärtlich sogar.
Nicht zuletzt im Umgang mit Cassie war ihr das aufgefallen. Als Liebhaber jedoch war er fordernd, gnadenlos und ohne Erbarmen.
Und sie hatte es ihm mit gleicher Münze zurückgezahlt. Jetzt, in der Stille der nächtlichen Dunkelheit, die wie eine Decke über sie gebreitet lag, fiel es ihr schwer sich vorzustellen, dass sie ihm zu tun erlaubt hatte, was er getan hatte. Mehr noch, sie hatte es sich aus tiefstem Herzen gewünscht.
Ihr Körper schmerzte an den unmöglichsten Stellen, und später, im hellen Licht des Tages, würde sie bei der Erinnerung daran, wie sie zu ihren blauen Flecken gekommen war, wahrscheinlich vor Scham in den Boden versinken. Bei der Erinnerung daran, wie sie gelechzt und gehungert hatte nach seinen großen, harten und doch so feinfühligen Händen und wie sie unter ihnen erbebt war. Noch mehr allerdings würde sie möglicherweise erschrecken darüber, was sie mit ihren eigenen getan hatte.
Und was du jetzt am liebsten schon wieder tun würdest, durchzuckte es sie.
Sie holte flach Atem und schlüpfte vorsichtig unter dem Arm, den Rafe besitzergreifend um sie gelegt hatte, hervor, stand leise auf und bückte sich nach seinem Flanellhemd. Nachdem sie es sich übergestreift hatte, schlich sie hinaus in die Küche. Sie hatte Durst. Und vielleicht würde ein Glas kaltes Wasser ihr auch wieder einen klaren Kopf verschaffen.
Während sie am Spülstein stand, wanderte ihr Blick zum Fenster hinaus.
Noch immer fielen dicke Schneeflocken vom Himmel. Nein, sie bereute nichts. Das wäre auch idiotisch. Das Schicksal hatte ihr einen außergewöhnlich guten Liebhaber zukommen lassen. Einen Mann, von dem man als Frau nur träumen konnte, und sie wäre dumm, wenn sie es nicht auskosten würde. Natürlich war es nur eine rein körperliche Angelegenheit, aber das war gut so, und so sollte es auch bleiben. Es war schließlich genau das, was sie wollte. Sie würde sich – und ihn – vor allen Komplikationen, die mit einer echten Beziehung einhergingen, bewahren.
Er hatte es ja schon gesagt: Sie waren beide erwachsen und wussten, was sie wollten. Wenn das Haus erst einmal fertig war, würde er sich sowieso aller Wahrscheinlichkeit nach wieder aus Antietam verabschieden.
Was aber hinderte sie beide daran, bis dahin ihren Spaß miteinander zu haben? Wenn es dann an der Zeit war, Abschied zu nehmen, würde es in gegenseitigem Einvernehmen geschehen, und bei keinem würden Wunden zurückbleiben. Sie hätten etwas Schönes erlebt, das irgendwann zu Ende gegangen war, das war alles.
Aber wahrscheinlich war es ratsam, über das, was man voneinander erwartete – oder genauer gesagt nicht erwartete – noch einmal zu reden, bevor man den Dingen ihren Lauf ließ.
Rafe stand in der offenen Tür und beobachtete sie. Sie lehnte mit dem Rücken zu ihm am Spülbecken und blickte nachdenklich aus dem Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte. Sein Hemd reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Abgetragener Flanell auf cremeweißer, seidiger Haut.
Als er sie so stehen sah, überkam ihn der drängende Wunsch, ihr zu sagen, dass er noch niemals in seinem Leben eine Frau kennengelernt hatte, die so schön war wie sie, die so perfekt und einzigartig war, doch der Augenblick schien ihm nicht geeignet, ihr zu gestehen, wie viel sie ihm bedeutete.
„Steht dir gut, das Hemd, Darling.” Er hatte sich für einen beiläufigen Tonfall entschieden.
Da sie ihn nicht gehört hatte, zuckte sie zusammen und hätte vor Schreck fast das Glas fallen lassen. Rasch drehte sie sich um und sah ihn mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen am Türrahmen lehnen. Er trug zwar seine Jeans, hatte sich jedoch nicht die Mühe gemacht, sie zuzumachen.
„War das Erstbeste, was ich gefunden habe”, erwiderte sie leichthin.
„So gut hatte es dieses alte Hemd noch nie. Kannst du nicht mehr schlafen?”
„Ich hatte Durst.”
„Und? Keine Angst so allein in der Dunkelheit?”
„Nein. Nicht vor dem Haus zumindest.”
Er hob die Augenbrauen.
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