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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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seiner Töchter gelegt. Lulu trug die kleine Tarnuniform, die Jolene ihr im letzten Jahr geschneidert hatte. Die Anstecknadel mit den Flügeln steckte am Kragen. Ihre langen schwarzen Haare waren vollkommen zerzaust und umrahmten ihr schmales Gesichtchen. Ihre Strümpfe passten nicht zusammen.
    »Hi, Mommy!«, sagte Lulu strahlend. Sie marschierte direkt zum Bett, packte das Gestell und rüttelte daran. »Daddy hat gesagt, wir müssten tapfere kleine Soldaten sein, damit es dir bald bessergeht. Ich bin bereit. Siehst du?« Sie wirbelte herum, um ihren Aufzug zu präsentieren.
    Michael tätschelte Betsy die Schulter und gab ihr einen kleinen Schubs. Sie stolperte vorwärts. »Hi, Mom.« Sie sah Jolene nicht an, sondern neigte den Kopf so, dass ihre Haare ihr wie ein Vorhang übers Gesicht fielen.
    Jolene versuchte, Betsy in die Augen zu blicken. »Es tut mir leid, dass ich dich neulich angeschrien habe«, sagte sie leise.
    Betsy zuckte mit den Schultern und wandte den Kopf ab. Offensichtlich wusste sie nicht, wohin sie blicken sollte – jedenfalls nicht auf Jolenes immer noch zerschundenes Gesicht oder auf ihr fehlendes Bein. »Schon gut«, murmelte sie.
    Jolene wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Dann sagte Michael: »Conny meinte, du bräuchtest etwas Motivation, um mit deiner Physiotherapie anzufangen. Ich wusste, du würdest die Mädchen nicht enttäuschen wollen. Sie wissen, dass es schwer – und schmerzhaft – werden wird, und wollen dir helfen.«
    »Wir wollen helfen! So wie du uns geholfen hast, wenn wir Alpträume hatten«, sagte Lulu, eifrig darauf bedacht zu zeigen, dass sie wusste, worum es ging.
    Jolene konnte sich gut vorstellen, wie der Abend zuvor verlaufen war. Michael hatte sich mit den Mädchen zusammengesetzt und ihnen erzählt, ihre Mom habe Schmerzen und Angst, und sie müssten ihr helfen.
    Als sie jetzt ihre Töchter ansah, tat das so weh, dass ihr der Atem stockte. Sie wusste, worauf Michael abzielte; er erwartete, dass sie sich wie die Frau von früher verhielt. Aber diese Frau gab es nicht mehr; sie war abgeschossen worden und in der Wüste gestorben.
    Lulu öffnete ihren Rucksack. Sie wühlte darin und zog ihre gelbe Decke heraus – die Kuscheldecke, die sie früher immer zum Trost gebraucht hatte. »Hier, Mommy«, erklärte sie feierlich und trat zum Bett. »Du darfst meine Decke haben.«
    Da schien Jolenes Herz zu schmelzen. Eine Sekunde lang fühlte sie die Liebe, die sie einst erfüllt hatte. Sie nahm die schäbige, fadenscheinige gelbe Decke und erinnerte sich daran, wie niedlich sie ganz am Anfang in Lulus weißem Kinderbett ausgesehen hatte. Sie sehnte sich danach, all das zurückzubekommen: ihr Leben, ihre Fähigkeit zu lieben, ihre Mütterlichkeit. »Danke, Lucy. Ich passe gut darauf auf.«
    »Aber wenn’s dir bessergeht, krieg ich sie zurück, ja?«
    »Natürlich.«
    Erwartungsvoll starrten alle sie an.
    Komm schon, Jo. Tu so, als ob.
    Schließlich brachte sie ein Lächeln zustande. Auf gar keinen Fall wollte sie ihre Kinder enttäuschen. »Okay, Conny. Was soll ich tun?«
    »Das wissen Sie doch schon, Jolene. Sie müssen lernen, Ihr Bein zu verbinden.«
    Sie nickte und spürte voller Widerwillen, wie ihr flau im Magen wurde. »Okay. Aber die Kinder müssen doch nicht dabei sein.«
    »Wieso nicht?«, fragte Michael und trat ebenfalls ans Bett.
    »Sie sollten das nicht sehen«, widersprach sie mit flehendem Blick. Jetzt merkte sie, dass auch er Angst hatte.
    »Das? Du meinst dich , Jo? Wir haben darüber geredet«, fuhr er fort und sah die Mädchen nickend an. »Das bist du, und wir lieben dich, und du bist verletzt. Wir haben keine Angst. Wir haben mehr Angst vor dem, was wir nicht sehen können.«
    »Zum Beispiel vor Alpträumen und Monstern im Schrank«, sagte Lulu. »Sobald man das Licht anmacht – schwups! –, sind sie weg und man ist in Sicherheit.«
    Jolene starrte Michael an und sagte lautlos Bitte.
    Wir bleiben , erwiderte er ebenso lautlos.
    Conny trat auf der gegenüberliegenden Seite ans Bett und zog die Decke zurück. Jolene sah, wie Betsy bei dem Anblick zusammenzuckte. Ihre Tochter wich zur Tür zurück.
    Jolene biss die Zähne zusammen, als Conny mit seinen langen dunklen Fingern langsam den Verband löste. »Es wird überkreuz gewickelt, sehen Sie? So wird der Verband fester und die Schwellung geht schneller zurück.«
    Dann war der Verband weg; darunter sah man nur noch die weiche, transparente Gaze.
    Jolene

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