Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
Spaltbreit. »Anziehen, Betsy. Frühstück in zehn Minuten.«
    Er schloss die Tür wieder und ging weiter zu Lulus Zimmer. Dort sah es aus, als wäre eine Spielzeug-Kleider-Bombe explodiert. Wahrscheinlich hätte er sie dazu bringen sollen aufzuräumen, aber ehrlich gesagt, schien es einfacher, es selbst zu tun. Andererseits dachte er das jeden Morgen und hatte es noch nicht in die Tat umgesetzt. Glücklicherweise kam einmal die Woche eine Putzfrau; sonst hätten sie auf einer Müllkippe gelebt.
    »Hey, Lulu.« Er küsste sie auf die Wange. Dann hob er sie auf den Arm und trug sie ins Bad, wo er darüber wachte, wie sie ihre Zähnchen putzte. Als sie nach einer Ewigkeit fertig damit war, strahlte sie ihn triumphierend an: »Ich bin schon groß.«
    »Was willst du zur Schule anziehen?«, fragte er. In den letzten Monaten hatte er gelernt, dass es keine gute Idee war, einem Mädchen – auch wenn es nur so groß war wie ein Golfschläger – zu sagen, was es anziehen sollte. Sonst kam es zu Szenen einer ausgewachsenen Diva.
    Lulu ging zurück in ihr Zimmer, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete das Chaos um sich herum.
    Michael zählte im Stillen bis zehn.
    Schließlich entschied sie sich für eine rosafarbene Hose mit applizierten Gänseblümchen und ein blaues Toy Story- T-Shirt. Mit ihren grün geringelten Socken dazu sah sie aus wie ein Clown, aber das sollte nicht seine Sorge sein. Gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter.
    In der Küche warf Michael einen Blick auf Jolenes Speisenliste; er hatte gelernt, dass auch das sein Leben einfacher machte. Während er die Zutaten für arme Ritter herausholte, fing Lulu an, den Tisch zu decken. Ihr einträchtiges Schweigen wurde nur durch das Klappern des Bestecks unterbrochen.
    Er goss sich gerade eine zweite Tasse Kaffee ein, als Betsy in die Küche kam und mitteilte: »Im Fernsehen ist schon wieder von Mom und Tami die Rede.«
    Das überraschte Michael keinesfalls. Die gesamte letzte Woche waren die beiden besten Freundinnen, die mit ihrem Helikopter abgeschossen worden waren, das Hauptthema der Lokalnachrichten gewesen. »Setz dich und iss«, erwiderte er nur darauf.
    Während die Mädchen ihre armen Ritter aßen und er seinen Kaffee trank, überlegte er, was er an diesem Tag zu tun hatte. Die Recherche im Keller-Fall war im Gange, und er bereitete sich auf den Prozessbeginn vor. All seine Gedanken sollten auf Zeugenbefragungen und Verteidigungsstrategien gerichtet sein.
    Doch er konnte nur an Jolene denken. Er ließ sie im Stich. Vielleicht ließen sie alle sie im Stich. Seit Jolenes Rückkehr war Betsy mürrisch und wortkarg. Sie glaubte, ihre Mutter wäre in einer Weise verletzt worden, die ihr Leben wesentlich veränderte. Doch noch schlimmer war ihre Wut auf Jo. Sie war wütend, weil sie in den Krieg gezogen war, wütend, dass sie verwundet worden war, wütend, dass sie verändert zurückgekommen war.
    Um zwanzig nach acht saßen beide Kinder im Schulbus. Michael fuhr zur Fähre und überquerte den Sund; in Seattle steuerte er Richtung Norden.
    Eine Viertelstunde später parkte er vor dem Rehazentrum. Er zog sich den Mantel aus, warf ihn sich über den Arm und ging hinein.
    »Mr Zarkades?«
    Er sah den Physiotherapeuten auf sich zukommen. Wie üblich trug Conny seine weite, rosafarbene Pflegerkluft. Seine grauen Dreadlocks schwangen bei jedem seiner Schritte hin und her, als wäre er der Alien in Predator.
    »Hallo, Conny«, sagte Michael. »Wie geht es Jolene? Ich wette, sie hält Sie ganz schön in Atem.«
    »Keineswegs.«
    »Was soll das heißen?«
    »Sie steht nur auf, um ins Bad zu gehen, und zwar äußerst ungern, weil sie dann Hilfe braucht. Sie weigert sich zu lernen, ihr Restbein zu pflegen. Sie will es nicht mal ansehen. Das kommt natürlich oft vor. Manchmal dauert es Jahre, bis jemand sein Schicksal akzeptiert. Aber sie versucht es nicht mal.«
    »Jolene versucht es nicht mal?« Michael runzelte die Stirn.
    »Sie hat Schmerzen«, fügte Conny hinzu, »und damit meine ich nicht ihr Bein. Ich versteh’s ja, aber das geht jetzt schon zehn Tage so. Sie muss langsam mit der Physiotherapie anfangen.«
    Michael nickte. Er wandte sich ab und ging den langen hellen Flur zu Jolenes Zimmer hinunter. Dort klopfte er einmal und trat ein.
    Jolene saß aufrecht im Bett und starrte ausdruckslos auf den Fernseher. Ihre langen blonden Haare hingen ihr ungepflegt ins Gesicht. Ihm fiel auf, wie blass und dünn sie wirkte. Durch den Gewichtsverlust stachen ihre

Weitere Kostenlose Bücher