Zwischen uns das Meer (German Edition)
frei?«
Darauf lachte er nur. Es war ein herzhaftes, sattes und freundliches Lachen, das an ihren ohnehin strapazierten Nerven zerrte. »Ich kann Sie auch hochheben und so Ihren mageren Hintern aus dem Bett befördern.«
»Das traue ich Ihnen zu.«
»Was ist denn aus der Frau geworden, die das Bootcamp und die Fliegerausbildung geschafft hat?«
»Die hat ihr Bein in Deutschland verloren, und das braucht sie.«
»Sie kriegt es aber nicht zurück.«
Jolene starrte ihn finster an. »Meinen Sie vielleicht, das wüsste ich nicht?«
»Soll ich wieder gehen, Jo?«
»Ja«, sagte sie, und fast klang es wie ein Schluchzen.
»Dann stehen Sie auf und arbeiten Sie mit. Erlauben Sie, dass ich Ihnen helfe.«
Sie sah ihn an. Ihr war bewusst, dass sie die Angst in ihrem Blick nicht verbergen konnte. »Das bringt mich um, Conny.«
Er strich ihr so sanft die Haare aus dem Gesicht, dass ihr fast die Tränen kamen. »Ich weiß, soldier girl . Ich kenn das Gefühl.«
»Wieso das?«
»Schmerzen sind Schmerzen. Und davon hatte ich wahrlich mehr als genug. Mein Sohn Elijah ist gestorben. Eines Tages erzähle ich Ihnen von ihm. Er war ein toller Junge. Wenn er lächelte, wurde es hell im Zimmer. Nach seinem Tod hatte ich nur noch Wut und Finsternis in mir. Fing an zu trinken und rumzubrüllen. Mehr müssen Sie nicht wissen. Ich brauchte eine lange Zeit – und eine Super-Ehefrau –, um meinen Weg zurück zu finden. Ich weiß, wie es ist, wenn einem der Schmerz in den Knochen sitzt. Und ich weiß, wie es ist, wenn man aufgeben will. Aber das ist nicht der richtige Weg.«
»Früher hab ich nie aufgegeben.«
»Dann besinnen Sie sich darauf.«
Jolene wandte sich ab, weil sie das Mitleid und Verständnis in seinen dunklen Augen nicht mehr ertrug.
»Na los, Jolene.« Conny streckte die Arme aus. Diesmal wandte sie sich nicht ab, sondern ließ sich von ihm aus dem Bett in den Rollstuhl heben.
Die Physiotherapie fand in einem hellen weiträumigen Zimmer mit vier breiten, kunstlederbezogenen Liegen an der einen und einer Fensterfront an der anderen Seite statt. Auf dem Linoleumboden war ein niedriger Barren aus Edelstahl angeschraubt. Außerdem gab es etliche Treppenblöcke mit und ohne Handlauf, Yogamatten, Gymnastikbälle in allen Größen und Farben, Hand- und Fußhanteln, Therabänder und eine Sammlung von Gehgestellen und Krücken.
Zuerst musste Jolene sich aufwärmen. Dazu rollte sie sich auf einer der leuchtend blauen Yogamatten auf dem Boden hin und her, streckte sich so weit sie konnte und stellte sich dabei vor, ihr Fuß wäre noch da und presste sich bis zum Ende der Matte.
Bei jeder Bewegung verzeichnete Conny, wie weit sie gekommen war, und ermutigte sie, sich noch mehr zu strecken.
»Ich glaube, das geht nicht«, erklärte sie schwer atmend.
»Doch, das geht. Weiter strecken.«
Jolene biss die Zähne zusammen und versuchte es weiter, streckte ihren Beinstumpf so weit heraus, bis sie vor Schmerz aufschrie. Der Schweiß lief ihr übers Gesicht, tropfte auf die Matte und machte sie rutschig.
»Noch ein, zwei Zentimeter mehr«, forderte Conny sie auf.
»Ich hasse Sie«, sagte sie, bemühte sich aber.
»Sonst hätte ich auch nicht meinen Job gemacht«, erwiderte er und lachte. »Das ist gut.« Er tätschelte ihr die Schulter. »Jetzt will ich ein paar Sit-ups sehen.«
»Sie sind schlimmer als jeder Drill-Sergeant, den ich je hatte. Wissen Sie das?«
»Ich gebe mir Mühe.« Während sie Sit-ups machte, ging er zu ihrem Rollstuhl und schob ihn zu ihr. »Okay. Das reicht. Jetzt steigen Sie ein.«
Sie blickte auf den verhassten Stuhl. Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Als sie ihre Hände am T-Shirt abwischte, hinterließ sie feuchte Flecken.
Conny hob sie auf die Hantelbank, setzte sie hin und schob den Rollstuhl näher zu ihr. »Ich zeig Ihnen, wie Sie in Ihren Stuhl kommen. Hier, immer drauf achten, dass die Bremse gedrückt ist. Wischen Sie sich die Hände ab, damit Sie nicht rutschen, und vergessen Sie nicht, dass die rechte Hand nicht belastet werden darf. Sie dient nur dazu, das Gleichgewicht zu halten. Ich pass auf, Jolene …«
Sie leckte sich nervös die Lippen. »Wer hätte gedacht, dass es mal so schwer für mich sein würde, mich einfach nur hinzusetzen! Früher war ich Marathonläuferin. Hab ich Ihnen das schon erzählt? Einmal …«
»Sie wollen Zeit schinden.«
Sie straffte sich innerlich und machte sich an die Aufgabe, von der Bank in den Rollstuhl zu kommen. Stöhnend vor Anstrengung beugte
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