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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Angreifer: seine Frau.«
    »Kann jemand, der sich in so einem dissoziativen Zustand befindet, überhaupt noch rational denken?«
    »Wenn Sie damit meinen, ob er irgendeine Art Vorsatz fassen kann, dann lautet meine Antwort: nein. Nach meiner Expertise als Psychiater war gerade Keith Keller nicht in der Lage, einen vorsätzlichen Mord zu begehen.«
    Michael lehnte sich nachdenklich zurück.
    »Keller ist ein anständiger Mensch, Michael, der Dinge sah und erfuhr, mit denen sein Geist einfach nicht umgehen konnte. Es würde die Tragödie, die ihn und seine Familie heimgesucht hat, noch vergrößern, wenn wir ihn lebenslang wegsperrten. Er braucht stationäre Behandlung.«
    Michael schlug seine Akte auf. »Sie wissen aber, dass das Department of Veterans Affairs behauptet, er habe nur eine leichte Angststörung. Sie haben keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.«
    »Das VA «, erwiderte Chris kopfschüttelnd. »Mit den Versäumnissen der Regierung gegenüber unseren Soldaten will ich erst gar nicht anfangen. Sie sind geradezu kriminell. Das Militär setzt posttraumatische Belastungsstörungen mit Schwäche oder Feigheit gleich. Aber es wird seine Meinung ändern müssen, vor allem, weil unsere Soldaten mehrmals eingesetzt werden. Wir müssen das VA und die Regierung dazu bringen, sich um die Bedürfnisse der Soldaten zu Hause zu kümmern. Darauf müssen wir unseren Fokus richten, das Stigma muss aufgehoben werden. Dies ist ein wichtiger Fall, Michael. Vielleicht können Sie damit auch anderen traumatisierten Soldaten helfen und unter Umständen Leben retten.«
    »Aber wir haben nicht einen Fall gefunden, bei dem eine auf PTBS basierende Verteidigungsstrategie erfolgreich war.«
    »Irgendwann ist immer das erste Mal«, meinte Chris lächelnd.
    Michael nickte und sah aus dem Fenster. Draußen regnete es. Der Regen fiel in so feinen Fäden, dass es aussah, als läge ein Tuch aus Seide über allem und umhülle die scharfen Stahlkanten der Gebäude. Es glitzerte silbrig wie Tränen.
    Plötzlich wurde ihm klar, warum ihm dieser Fall so viel bedeutete. »Meine Frau«, sagte er langsam, »hat im Krieg ein Bein verloren. Ein Mitglied ihrer Crew kam ums Leben, und ihre beste Freundin liegt noch im Koma. Aber Jolene ist wieder zurückgekommen, nur völlig verändert. Sie war reserviert gegenüber unseren Kindern – genauer gesagt: gereizt und wütend, dabei liebt sie sie über alles. Ich möchte ihr helfen, weiß aber nicht, wie.«
    Chris sagte nichts darauf. In dem sich ausbreitenden Schweigen spürte Michael, wie Chris ihn genau betrachtete. »Sie fliegt Militärhubschrauber, richtig?«, fragte Chris schließlich.
    Michael wandte sich zum Psychiater. »Ja. Ist das irgendwie von Bedeutung?«
    Chris lächelte. »Sie sind ein waschechter Zivilist. Es bedeutet, dass Ihre Frau zäh ist, Michael. Sie ist eine starke Frau, die ihr Leben lang etwas vom System erkämpft hat, was es ihr eigentlich nicht geben wollte.«
    »Ja, das ist Jo.«
    »Einer solchen Frau fällt es nicht leicht, um Hilfe zu bitten.«
    »Sie schickt mich ständig weg.«
    »Selbstverständlich. Das entspricht der Mentalität in der Armee. Sei stark, mach alles allein, bringe die Mission zu einem erfolgreichen Ende. Lassen Sie sich nicht wegschicken! Sie braucht Sie jetzt, auch wenn es ihr nicht bewusst ist. Und achten Sie darauf, ob sie Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung zeigt. Schlafmangel, Alpträume, übertriebene Wachsamkeit, plötzliche Wutausbrüche, Depressionsschübe oder ausgeprägte Indifferenz.«
    »Danke, Chris«, sagte Michael.
    Chris stand auf, und sie gaben sich die Hand.
    Als der Psychiater zur Tür ging, blickte er sich noch einmal um. »Ach, übrigens: Polyester oder Kord?«
    »Was?«
    »Mein Anzug.«
    »Ich könnte Ihnen …«
    »Also soll’s Hugo Boss sein.« Chris grinste und ging.

Z WANZIG
    Am nächsten Tag wachte Michael früh nach einer weiteren unruhigen Nacht auf. Zerschlagen stolperte er ins Bad und versuchte seinen schlaffen Körper mit einer heißen Dusche wiederzubeleben, aber dadurch wurde er nur noch müder. Er zog sich die Sachen vom Vortag an, die er über einen Stuhl gehängt hatte. Das war einfacher, als zum Schrank zu gehen und sich neue auszusuchen. Wie üblich in letzter Zeit waren seine Kleider im ganzen Zimmer verstreut, hingen über Stühlen, lagen gefaltet in Stapeln auf dem Boden oder auf der Bank am Fußende des Betts.
    Danach ging er zu Betsys Zimmer, klopfte und öffnete die Tür einen

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