Zwischen uns das Meer (German Edition)
ist, Bets? Früher habt ihr drei doch alles zusammen gemacht.«
»Du erlaubst mir ja nichts. Sie dürfen sich schminken und am Wochenende in die Mall gehen.«
Die alte Leier. »Du bist noch zu jung, um dich zu schminken. Wir haben abgemacht, dass es Make-up und Ohrlöcher erst mit dreizehn gibt. Das weißt du doch.«
» Abgemacht haben wir gar nichts«, konterte Betsy verbittert.
»Wenn sie dich nicht mehr mögen, bloß weil du kein Mascara trägst …«
»Du verstehst gar nichts. «
»Bets, was ist passiert?«
Das verfehlte nicht seine Wirkung. Betsy brach in Tränen aus. Jolene rutschte zu ihr, nahm sie in die Arme und ließ sie sich ausweinen. Sie hatte schon lange mit so etwas gerechnet. Betsy weinte, als würde ihr das Herz brechen, als wäre jemand, den sie liebte, gestorben. Jolene hielt sie ganz fest und strich ihr über die Locken.
»Si-Sierra hat letzte Woche Zigaretten mit in die Schule gebracht«, erzählte Betsy schluchzend. »Als ich sagte, das wäre gegen die Regeln, hat sie mich Versagerin genannt. Sie forderte mich auf, eine zu rauchen.«
Jolene holte tief Luft, um ganz ruhig zu bleiben. »Und, hast du?«
»Nein, aber jetzt reden sie nicht mehr mit mir. Sie nennen mich Streberin.«
Am liebsten hätte Jolene ihre Tochter im Arm gehalten, bis diese Gefahren vorbei waren, bis Betsy alt genug war, selbst damit umzugehen. Jetzt musste sie das Richtige sagen, das, was eine perfekte Mutter gesagt hätte, aber sie wusste nicht, was. Bis zur Army – mit ihren strikten Verhaltensregeln – hatte sie nirgendwo hingepasst. Die Kinder an ihrer Schule hatten gewusst, dass sie anders war – wahrscheinlich weil sie unmoderne Kleider trug oder nie zu Events kam, vielleicht aber auch, weil sie niemanden zu sich einladen konnte. Wer wusste das schon? Kinder waren in dieser Hinsicht wie Jedi-Ritter, sie spürten die leiseste Störung der Macht. Aber schon damals hatte Jolene einen Weg gefunden, ihre Gefühle von sich abzuspalten und in sich zu begraben.
Also hatte sie keine Ahnung, wie es sich anfühlte, so verzweifelt dazugehören zu wollen, dass einem schon bei der leisesten Kritik übel wurde. Normalerweise hätte sie Betsy jetzt etwas über innere Stärke erzählt, über den Glauben an sich, vielleicht sogar über Nachsicht gegenüber ihren Freundinnen.
Aber Rauchen in der Schule änderte alles. Wenn Betsys – ehemalige – Freundinnen rauchten, musste Jolene entschiedener vorgehen.
»Ich rufe Sierras Mutter an.«
»Oh, mein Gott, NEIN! Versprich mir, dass du das nicht tust! Sonst erzähl ich dir nie wieder was.«
Die Angst in Betsys Augen war alarmierend.
»Versprich’s mir, Mom. Bitte.«
»Ist gut. Diesmal werde ich nichts sagen. Aber wenn Sierra und Zoe in der Schule rauchen, dann solltest du da nicht mitmachen. Vielleicht solltest du dir neue Freunde suchen. Zum Beispiel bei den Mädchen in deiner Laufgruppe. Die fand ich nett.«
»Du findest jeden nett.«
»Und Seth?«
Betsy verdrehte die Augen. »Ach, bitte! Gestern hat er seine Gitarre mit zur Schule gebracht und in der Mittagspause gespielt. Das war so oberpeinlich!«
»Früher hast du ihm gern beim Gitarrespielen zugehört.«
»Und wenn schon! Jetzt nicht mehr! Die anderen haben ihn ausgelacht.«
Jolene starrte Betsy an; ihre Tochter sah zutiefst unglücklich aus. »Ach, Betsy. Wieso bist du so gemein zu Seth? Du weißt doch genau, wie du dich fühlst, wenn Sierra und Zoe gemein zu dir sind.«
»Wenn ich mit ihm befreundet bin, wird mich niemand mehr mögen.«
»Du musst lernen, kein Lemming zu sein, Betsy.«
»Was ist das? Ein Nagetier? Willst du etwa behaupten, ich wäre ein Nagetier?«
Jolene seufzte. »Ich wünschte, ich könnte dir das alles etwas leichter machen. Aber das liegt ganz allein bei dir. Du musst einfach dein Bestes geben, Betsy. Sei eine gute Freundin, dann wirst du gute Freunde haben.«
»Du willst es mir leichter machen? Dann komm nicht zum Berufskundetag.«
Und damit waren sie wieder beim alten Thema. »Das geht nicht, und das weißt du auch. Ich habe fest zugesagt. Wenn man etwas verspricht, muss man es auch halten. Es ist eine Frage der Ehre, und Ehre – und Liebe – sind das Wichtigste auf der Welt.«
»Ja, ja. Gib immer dein Bestes.«
»Nächstes Jahr melde ich mich nicht. Wie wäre das?«
Betsy sah sie an. »Versprochen?«
»Versprochen.« Jolene versuchte zu verdrängen, dass sie ihrer Tochter erst dann ein widerstrebendes Lächeln entlockt hatte, als sie versprach, nicht mehr Teil ihres
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