Zwischen uns das Meer (German Edition)
für mich nehmen, Mr Zarkades. Ich habe gehört, Sie sind der Pflichtverteidiger meines Sohnes.«
»Und wer ist Ihr Sohn?«
»Keith Keller. Er wurde wegen Mordes an seiner Frau verhaftet.«
Der Fall, den Richter Runyon Bill übertragen hatte. »Ach ja, Mr Keller. Ich war gerade dabei, mich mit dem Fall vertraut zu machen.« Auf der Suche nach der Keller-Akte stöberte Michael durch die Unterlagen und Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Als er sie gefunden hatte, sagte er: »Ja, richtig. Ich habe sogar heute einen Termin mit ihm um zwei Uhr.«
Zwei Uhr.
Verdammt.
Der Wettkampf.
»Ich mach mir Sorgen um ihn, Sir. Er will nicht mit mir reden. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie gerne aufsuchen und mit Ihnen sprechen. Sie müssen wissen, was für ein guter Junge er ist.«
Aber ein Mörder. »Ich werde mich ganz sicher bald mit Ihnen unterhalten müssen, Mr Keller«, erwiderte Michael. »Aber zuerst muss ich mit meinem Klienten sprechen. Haben Sie meiner Sekretärin Ihre Nummer gegeben?«
»Ja, das habe ich.«
»Gut.«
»Mr Zarkades? Er ist ein guter Junge. Ich weiß nicht, warum er es getan hat.«
Michael wünschte, den letzten Satz hätte er sich geschenkt. »Ich rufe Sie zurück, Mr Keller. Danke.«
Michael legte auf und sah auf seine Uhr. Es war 12.27 Uhr. Er hatte den Termin mit Keller vergessen – er hätte ihn wegen des Wettkampfs absagen müssen.
Das konnte er immer noch. Oder er konnte früher hingehen. Schließlich hatte Keller keinen vollen Terminkalender.
Er sah wieder auf seine Uhr. Wenn er jetzt aufbrach, konnte er um 12.45 Uhr im Gefängnis sein, seinen neuen Klienten befragen und es noch bis zur Fähre um fünf nach zwei schaffen.
Das Vernehmungszimmer im King-County-Gefängnis war muffig und düster. Es gab keinen Einwegspiegel an der Wand, nur ein paar alte grüne Lampen über einem Tisch, dem man den jahrelangen Gebrauch ansah, und einen kleinen Metallmülleimer in der Ecke. Nichts, das als Waffe benutzt werden konnte. Die Tischbeine waren an den Betonboden geschraubt.
Michael saß seinem neuen Klienten gegenüber, Keith Keller, einem jungen Mann mit kurzen blonden Haaren, der aussah, als nähme er entweder Steroide oder würde exzessiv Gewichte stemmen. Seine Wangenknochen stachen scharf aus seinem Gesicht, und seine Lippen waren aufgebissen.
Die Uhr an der Wand verzeichnete stetig die Minuten, die still verstrichen.
Das heißt: nicht still .
Keith saß vollkommen reglos da. Seine grauen Augen waren seltsam – verstörend – ausdruckslos.
Sie beide saßen bereits über eine halbe Stunde allein hier. Keith hatte kein Wort gesagt, aber sein Atem ging laut röchelnd, als wäre seine Lunge vollkommen verschleimt.
Michael blickte auf die Uhr, wieder einmal – 13.21 –, und dann auf seine Unterlagen, die vor ihm auf dem Holztisch lagen. Bis jetzt hatte er nur den Bericht von der Verhaftung, und darauf konnte man nicht mal ansatzweise eine Verteidigung aufbauen. Laut Polizeiaussage war Keith Amok gelaufen und hatte wild um sich geschossen, bis die Nachbarn Hilfe riefen. Als die Polizei eintraf, verbarrikadierte sich Keith stundenlang in seinem Haus. Irgendwann hatte er – angeblich – seine Frau in den Kopf geschossen. Im Bericht hieß es, dass er gedroht hatte, sich zu erschießen, doch das SWAT -Team hatte ihn vorher erwischt.
Das Ganze ergab keinen Sinn. Keller war vierundzwanzigeinhalb und bis dato nicht straffällig geworden. Im Gegensatz zu den meisten von Michaels Klienten war Keller vorher noch nie angezeigt oder verhaftet worden, nicht mal für Ladendiebstahl im Teenageralter. Er hatte die High School abgeschlossen, war zu den Marines gegangen und ehrenhaft entlassen worden. Dann hatte er sich einen Job gesucht. Er war in keiner Gang und nahm keine Drogen.
»Ich muss verstehen, was passiert ist, Keith.«
Keith starrte weiterhin an den Punkt an der Wand, der die letzte Dreiviertelstunde seine Aufmerksamkeit gefesselt hatte.
Und dann das schreckliche, rasselnde Atmen.
Michael seufzte und blickte auf die Uhr. Wenn der Junge sich nicht helfen lassen wollte, war das seine Sache. Brach er jetzt nicht sofort auf, würde er die Fähre – und den Anfang des Wettkampfs – verpassen.
»Gut, Keith. Ich beantrage bei Gericht ein psychologisches Gutachten über Sie. Sie können keinen Prozess bekommen, wenn Sie nichts zu Ihrer Verteidigung beitragen können. Möchten Sie lieber in eine psychiatrische Anstalt anstatt in ein Gefängnis? Das liegt ganz bei
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