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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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geworden war. Jolene wusste, dass die Magie auch damit zusammenhing, wer ihn ihr geschenkt hatte. Betsy brauchte Aufmerksamkeit von ihrem Vater, und manchmal musste sie sich nur mit dem Pulli begnügen.
    Jetzt entriss sie Jolene den orangefarbenen Pulli und zog ihn an.
    Jolene sah, wie blass und zittrig ihre Tochter war. Sie warf einen Blick zu Michael, um zu prüfen, ob er es auch bemerkt hatte, aber er las wieder Zeitung. Er war zwar in einem Zimmer mit ihnen, aber vollkommen woanders. Wie lange eigentlich schon?, fragte sie sich.
    Betsy ging zum Tisch und setzte sich.
    Jolene tätschelte ihr die Schulter. »Du bist bestimmt schon ganz aufgeregt. Ich hab mit deinem Trainer geredet, und er meinte …«
    »Du hast mit meinem Trainer geredet ?«
    Jolene hielt inne und zog ihre Hand zurück. Offensichtlich hatte sie schon wieder etwas falsch gemacht. »Er meinte, beim Training wärst du super gewesen.«
    »Unglaublich.« Betsy schüttelte den Kopf und starrte auf die beiden Pancakes auf ihrem Teller, die mit zwei Blaubeeraugen und einem Sirupmund verziert waren.
    »Ich will auch Pancakemänner«, schrie Lulu, weil sie nicht im Mittelpunkt stand.
    »Es ist ganz normal, nervös zu sein, Bets«, sagte Jolene. »Aber ich habe dich laufen sehen. Du bist die beste Sprinterin der Mannschaft.«
    Betsy starrte finster zu ihr hoch. »Bin ich nicht. Das sagst du nur, weil du meine Mutter bist. Da musst du so was sagen.«
    »Das Einzige, was ich muss, ist dich lieben«, erwiderte Jolene, »und das tue ich. Außerdem bin ich stolz auf dich, Betsy. Es kann einem schon Angst machen, ins Leben zu treten und seine Chancen zu nutzen. Aber ich bin stolz, dass du es versuchst. Wir alle sind stolz.« Sie blickte zu Michael, der an der Küchentheke seine Zeitung las. Neben ihm an der Wand hing Jolenes Kalender mit allen Terminen und Aufgaben dieser Woche. Auf dem heutigen Datum stand in Großbuchstaben WETTKAMPF .
    Betsy folgte Jolenes Blick. »Kommst du zum Wettkampf, Dad? Er fängt um halb vier an.«
    Schweigen folgte darauf, angespanntes Warten. Wie lange dauerte es? Eine Sekunde? Eine Minute? Jolene betete, er würde aufblicken und es mit seinem charmanten Lächeln versprechen.
    »Michael«, sagte sie schließlich scharf. Sie wusste, wie wichtig seine Arbeit war, und respektierte sein Engagement. Daher bat sie ihn nur selten, an einem Familienevent teilzunehmen, aber dieser erste Wettkampf war wichtig.
    Gereizt von ihrem Tonfall sah er auf. »Was ist?«
    »Betsy hat dich an ihren Wettkampf erinnert. Heute um halb vier.«
    »Ah, ja. Richtig.« Er legte die Zeitung beiseite, und dann zeigte er es, sein Lächeln, das so viele Frauen, Jolene eingeschlossen, betört hatte. Jetzt schenkte er es Betsy und lächelte so strahlend, dass sein hübsches Gesicht viele kleine Fältchen offenbarte. »Wie könnte ich den großen Tag meiner Prinzessin vergessen?«
    Da erstrahlte auch Betsys schmales, blasses Gesicht. Sie lächelte und zeigte ihre großen, schiefen Zähne mit der Zahnspange.
    Michael ging zum Tisch, beugte sich zu Betsy und drückte ihr einen Kuss auf den Schopf. Dann wuschelte er durch Lulus schwarze Haare, ging weiter zur Tür und schnappte sich im Vorbeigehen seine Jacke von der Stuhllehne und die Aktentasche von der gefliesten Theke.
    Betsy strahlte immer noch, weil sie endlich seine Aufmerksamkeit hatte. »Wusstest du …«
    Michael ging aus der Küche in den Flur, dann aus dem Haus und ließ die Tür hinter sich zufallen. Betsy verstummte mitten im Satz.
    Sie sackte nach vorn wie eine Stoffpuppe ohne Füllung.
    »Er hat dich nicht gehört«, sagte Jolene. »Du weißt doch, wie er ist, wenn er die Fähre erwischen muss.«
    »Er sollte mal zum Ohrenarzt«, meinte Betsy und schob ihren Teller beiseite.

V IER
    Michael stand am Fenster seines Büros und starrte hinaus. An diesem kalten grauen Tag lag Seattle unter einer schweren Wolkendecke. Regen trübte die Sicht und verwischte die harten Stahlkanten der Hochhäuser. Tief unter ihm schossen Fahrradkuriere wie Kolibris durch den Verkehr.
    Die Sprechanlage hinter ihm summte.
    Er ging hin. »Hey, Ann. Was ist los?«
    »Ein gewisser Edward Keller ist am Telefon.«
    »Kenne ich ihn?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Aber er sagt, es sei dringend.«
    »Stellen Sie ihn durch.« Michael setzte sich an seinen Schreibtisch. Strafverteidiger bekamen ständig dringende Anrufe von Unbekannten.
    Als das Telefon klingelte, nahm er ab.
    »Michael Zarkades«, sagte er nur.
    »Danke, dass Sie sich Zeit

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