Zwischen uns die Zeit (German Edition)
sich auf magische Weise materialisiert, wie er es sonst auch immer tut, aber die Zeit vergeht und nichts passiert. Mir fällt auf, dass der Schlüssel nicht im Zündschloss steckt und dann erinnere ich mich, dass er ihn abgezogen und in die Tasche gesteckt hat.
Die Uhr am Armaturenbrett steht auf zehn nach elf. Ich war tatsächlich nur fünf Minuten weg.
Jetzt weiß ich, wie es Bennett damals ging, als ich ihn im Park auf der Bank gefunden habe. In der Zeit zurückgeschleudert zu werden, fühlt sich ganz anders an, als sie zu durchreisen. Mir ist immer noch schlecht und ich spüre, wie mir Schweißperlen die Schläfen hinabrinnen, während sich mein Magen wieder zusammenkrampft. Was, wenn ich mich übergeben muss? Ich presse die Hand auf den Mund, lehne mich mit geschlossenen Augen zurück und versuche ruhig zu atmen.
Einatmen.
Ausatmen.
Einatmen.
Ausatmen.
Es hat keinen Zweck. Immer wieder zieht sich alles in mir zusammen und ich muss würgen.
Einatmen.
Ausatmen.
Ich taste nach dem Türgriff, aber als ich gerade daran ziehen will, fällt mir die rot blinkende LED am Armaturenbrett auf. Als Bennett den Zündschlüssel abgezogen hat, ist automatisch die Alarmanlage aktiviert worden. Sobald ich die Tür öffne, wird sie losheulen und die gesamte Nachbarschaft aufwecken. Als sich jedoch erneut mein Magen hebt und mir bittere Gallenflüssigkeit in den Mund schießt, reiße ich am Griff, drücke die Wagentür auf und beuge mich hinaus. Das schrille Heulen des Alarms übertönt meine Würgegeräusche, während ich den Inhalt meines Magens auf den Asphalt erbreche.
Als nichts mehr aus mir herauskommt, richte ich mich stöhnend wieder auf und sehe mich um. In den Gebäuden rings um den Parkplatz gehen die Lichter an und mir wird klar, dass ich sofort von hier wegmuss, bevor jemand die Polizei ruft.
Ich springe aus dem Wagen, schlage die Tür hinter mir zu und laufe über den Parkplatz auf die Straße. Das Wichtigste ist jetzt erst einmal, von hier wegzukommen. Zum Glück habe ich es nicht besonders weit nach Hause. In normaler Kleidung und flachen Schuhen würde ich es in einer Viertelstunde schaffen, aber ich trage Emmas engen Jeansrock und die Stiefeletten mit den hohen Absätzen, sodass ich eher eine halbe Stunde brauchen werde. Jedes Mal, wenn ich hinter mir einen Wagen höre, drehe ich mich um und hoffe, es ist Bennett. Dass er doch noch zurückgekommen ist und nach mir sucht. Aber der Jeep kommt nicht.
Zu Hause schließe ich leise die Tür auf und will mich gerade in mein Zimmer hinaufschleichen, als Dad, der mich offensichtlich gehört hat, in den Flur tritt.
» Hallo, Annie. Wie war der Film?« Er sieht zum Fenster hinaus auf die dunkle Einfahrt. » Wo ist Bennett? Hat er dich nicht nach Hause gebracht?«
» Wir waren noch im Coffeehouse und ich bin von dort nach Hause gelaufen«, lüge ich.
Dad betrachtet mich forschend und runzelt die Stirn. Ich kann mir vorstellen, wie ich aussehe: verweint, bleich und todunglücklich. » Was ist passiert, Anna? Und keine Ausflüchte bitte, sag mir die Wahrheit.«
Die Wahrheit? Ich war erst im Kino und danach im Jahr 2012 in San Francisco. Dort habe ich mir Konzerttickets angesehen, war einen Moment lang glücklich und dann wütend und verzweifelt. Eine Weile später habe ich mir auf einem Parkplatz die Seele aus dem Leib gekotzt und bin anschließend zu Fuß nach Hause gelaufen. » Wir haben uns gestritten und irgendwann habe ich ihn einfach stehen lassen und bin allein nach Hause.« Ich spüre, wie mir wieder Tränen über die Wangen laufen.
» Soll ich dich lieber in Ruhe lassen, Annie?« Er sieht mich mitfühlend an.
Einen Moment lang weiß ich nicht, was ich sagen soll. Dann schüttle ich schluchzend den Kopf und Dad zieht mich in seine Arme. » Das nächste Mal rufst du mich bitte an, damit ich dich abholen kann, okay?«, sagt er ernst, als ich mich wieder etwas beruhigt habe.
Ich hole zitternd Luft. » Okay.«
» Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus, versprochen.« Er streicht mir liebevoll die Haare aus dem Gesicht. » Und wenn du darüber reden willst– ich bin jederzeit für dich da.«
Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und schleppe mich dann nach oben.
In meinem Zimmer sieht es aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Der Schreibtisch ist mit Büchern, Heften und Stiften übersät, das Bett ist ungemacht und auf dem Boden stapelt sich Dreckwäsche, um die ich mich schon längst gekümmert hätte, wenn Emma mich nicht dazu überredet
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