Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Augen, womöglich sehen wir uns nie mehr wieder.
Eines Tages in naher Zukunft werden wir uns begegnen, und dann wirst du wieder verschwinden. Für immer.
Und Bennett hat es die ganze Zeit gewusst.
» Wie konntest du mir das verschweigen?«
Er senkt den Blick. » Ich weiß nicht… wahrscheinlich habe ich geglaubt, dass ich es verhindern kann. Du weißt ja, dass ich am Anfang immer wieder ins Jahr 2012 zurückgeschleudert wurde, aber ich habe es jedes Mal geschafft, nach Evanston zurückzukehren, und irgendwann hörte es auf und ich konnte bleiben. Das hat mir Hoffnung gemacht. In dem Brief steht nicht, wie lange ich dort war– da steht nur, dass ich für immer verschwunden bin . Ich dachte, wenn ich einfach gar nicht aus Evanston weggehe…« Er beendet den Satz nicht, sondern sieht mich nur traurig an. » Erst als du letzte Woche den anderen Bennett im Stadion getroffen hast, ist mir klar geworden, dass das reines Wunschdenken war, dass es so nicht funktioniert.«
Meine Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt. » Verdammt, Bennett. Du hättest mit mir über diesen Brief sprechen müssen«, flüstere ich. Wieder hat er mich angelogen, um mich davor zu schützen, verletzt zu werden. Dabei sollte er doch mittlerweile wissen, dass das nicht geht. In dem Brief steht ganz unmissverständlich, dass ich diejenige bin, die eine andere Entscheidung treffen muss. » Aber was soll ich anders machen?«, frage ich und sehe ihn verzweifelt an. Vielleicht weiß er ja etwas Wichtiges über Zeitreisen, das ich bisher nicht gewusst habe und das mir hilft, zu verstehen, was das alles zu bedeuten hat. Ich wünsche mir so sehr, dass er mir sagt, wie es jetzt weitergeht und mir versichert, dass alles gut wird.
Aber er blickt zu Boden und schüttelt den Kopf. » Ich weiß es nicht.«
Als ich mich das letzte Mal so von ihm verraten und allein gelassen fühlte, habe ich mir verboten, vor ihm zu weinen, aber diesmal ist es mir egal. Diesmal kämpfe ich nicht gegen die verzweifelten und wütenden Tränen an, sondern lasse ihnen freien Lauf.
Ich weine, weil er schon wieder nicht aufrichtig zu mir war, weil er mir schon wieder etwas unglaublich Wichtiges verschwiegen hat, obwohl er mir doch versprochen hatte, es würde keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben. Aber vor allem weine ich um die einunddreißigjährige Frau, die ich im Jahre 2011 sein werde – die Frau, die sechzehn Jahre lang einem Jungen mit meerblauen Augen nachgetrauert hat, den sie an einem verschneiten Wintertag in Evanston, Illinois, kennenlernte und der ihr Leben für immer veränderte. Wie konnte Bennett mir nur verheimlichen, dass er die ganze Zeit einen Brief besaß, der unser Schicksal besiegelt? Einen Brief, aus dem deutlich hervorgeht, dass er nicht bleiben kann?
» Wie konntest du nur…«, beginne ich meine Gedanken laut auszusprechen, halte dann aber inne, um nach den richtigen Worten zu suchen. Ich muss es ihm so erklären, dass er nicht denkt, er sei schuld daran, dass ich ein Leben geführt habe, dass ich so nicht wollte. Dass er nicht denkt, er hätte sich von Anfang an von mir fernhalten und bei der erstbesten Gelegenheit aus Evanston verschwinden müssen. Dass er nicht auf die Idee kommt, es wäre das Beste, die vergangenen drei Monate ganz auszulöschen. Denn trotz all meiner Enttäuschung liebe ich ihn viel zu sehr, um ihn so etwas denken zu lassen.
Ich wische mir mit beiden Händen übers Gesicht, hole tief Luft und will gerade weitersprechen, als sich meine Eingeweide plötzlich krampfartig zusammenziehen und mir speiübel wird. Stöhnend krümme ich mich zusammen. Mein Inneres fühlt sich an, als würde es in Flammen stehen. Bennett greift nach meinen Händen, und ich höre, wie er meinen Namen ruft, aber seine Stimme klingt gedämpft und wie aus weiter Ferne. Als ich zu ihm aufsehe, wirkt sein Gesicht verzerrt, als würde ich es durch ein unscharfes Kameraobjektiv betrachten. Im nächsten Moment krampft sich mein Magen wieder zusammen und ich höre mich selbst schreien.
Dann ist nur noch Dunkelheit und Stille um mich.
32
Obwohl ich schweißgebadet bin, ist mir eiskalt. Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich rieche Kunststoff und Leder, und als ich mich stöhnend aufrichte und die Augen öffne, sehe ich, dass ich ganz allein in Bennetts Jeep sitze, der auf dem dunklen Parkplatz in Evanston steht.
» Nein… bitte nicht…« Panik steigt in mir auf. Den Blick auf den Fahrersitz geheftet, warte ich mit angehaltenem Atem darauf, dass Bennett
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