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Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Titel: Zwischen uns die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Ireland Stone
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schließe die Augen und höre, wie er sagt: » Aber wirklich nur fünf Minuten.«

31
    » Wir sind da.«
    Ich öffne die Augen. Wir stehen vor einer großen Fensterfront und blicken auf die in der Dunkelheit funkelnden Lichter der Stadt hinunter, die sich bis zur Küste erstrecken. Dahinter liegt schwarz die Bucht von San Francisco. » Wow! Tolle Aussicht.« Ich sehe mich staunend um. » Hier wohnst du also.«
    Zu meiner Überraschung sieht dieses Zimmer genau so unpersönlich aus wie das, in dem er bei seiner Großmutter wohnt. Es ist viel zu aufgeräumt und leer, um etwas über seinen Bewohner zu verraten. Das Einzige, was dem Raum einen individuellen Anstrich gibt, ist ein riesiges Foto von einem Graffiti, das über einem Sideboard hängt. Das Bett ist ordentlich gemacht und auf einem verchromten Schreibtisch mit Glasplatte steht etwas, das vielleicht ein Fernseher oder ein Computer mit einem ultraflachen Bildschirm ist. Ein Digitalwecker zeigt 23:06.
    » Welcher Tag ist heute?«
    » Der 27. Mai 2012.«
    Ich bin siebzehn Jahre in die Zukunft gereist und stehe in Bennetts richtigem Zimmer. Als ich zum Schreibtisch gehe, bemerke ich ein kleines gerahmtes Foto, das dort steht. Es zeigt Bennett und Maggie. Er hat einen Arm um ihre Schulter gelegt und beide strahlen in die Kamera. Bennett sieht viel jünger aus, als ich ihn kenne, aber es ist vor allem Maggies Anblick, der mich erschreckt. Sie sieht unglaublich alt und gebrechlich aus, überhaupt nicht wie die energiegeladene lebenslustige Frau, die ich 1995 kennengelernt habe. Bennett nimmt mir das Bild aus der Hand und legt es umgedreht auf die Tischplatte. Wahrscheinlich ist die Aufnahme kurz vor ihrem Tod entstanden.
    Ich sehe mich weiter um, immer noch verwundert darüber, wie wenig von ihm in diesem Raum zu entdecken ist, bis mein Blick auf eine große Glasschale fällt, die auf seinem Nachttisch steht. Ich weiß sofort, was darin ist, ohne dass er es mir sagen muss.
    Ich setze mich aufs Bett und ziehe ein paar der Papierstreifen heraus, mit denen die Schale bis oben hin gefüllt ist. Es sind Konzerttickets. U2, 1997 in Kansas City. Die Red Hot Chili Peppers, 1996 auf dem Lollapalooza Festival. Die Pixies 2004 in der University of California in Davis. Lenny Kravitz 1998 im Paramount in New York. Die Smashing Pumpkins 1996 in Osaka. Van Halen 2004 in L. A.Die Ramones 1996 im Palace in Hollywood. Eric Clapton 2000 in Cleveland. Auf einigen der Tickets stehen Namen von Musikern oder Bands, von denen ich noch nie etwas gehört habe, weshalb ich annehme, dass sie erst nach 1995 bekannt wurden. Insgesamt müssen in der Schale Hunderte von Konzerttickets liegen.
    Bennett ist zu seinem Schreibtisch gegangen, unter dem ein Schubladenelement aus Edelstahl steht, und hat aus dem untersten Fach eine Holzkiste herausgeholt. Er setzt sich damit neben mich aufs Bett, klappt den Deckel auf und nimmt etwas heraus.
    » Was ist das?«
    » Ein Brief.«
    Ich lege die Tickets in die Schale zurück. » Du sollst mir einen Brief zeigen?«
    » Ich glaube ja.« Er sieht mich an und holt tief Luft, als müsste er all seinen Mut zusammennehmen. » Letztes Jahr war ich mit ein paar Kumpels im Lafayette Park Skateboard fahren, als eine Frau auf mich zukam.« Er zögert, aber dann entspannen sich seine Züge plötzlich und er strahlt mich mit dem Lächeln an, das ich mittlerweile so gut kenne.  » Eine sehr schöne Frau mit großen braunen Augen und dunklen Locken. Sie hat mich gefragt, ob sie mich kurz allein sprechen kann. Wir haben uns auf eine Bank gesetzt und dann hat sie mir den hier gegeben.« Er faltet den Briefbogen auf, streicht ihn glatt und reicht ihn mir.
    » Was steht drin?«
    » Das musst du selbst lesen.«
    » Will ich aber nicht.« Ich schiebe seine Hand weg und drehe den Kopf zur Seite. Es ist kindisch, aber ich kann nicht anders, weil plötzlich eine unerklärliche Angst in mir aufsteigt. Ich war diejenige, die ihn angebettelt hat, mir seine Gegenwart zu zeigen, und jetzt, wo ich hier bin, will ich nur noch weg. Ich will wieder zurück nach Evanston, dorthin, wo ich wenigstens so tun kann, als wäre alles normal.
    Bennett legt mir den Brief in den Schoß. » Du musst ihn lesen, Anna. Es ist mir wichtig, dass du wirklich alles weißt, was es zu wissen gibt.«
    » Wieso sagst du das?« Mein Magen schnürt sich noch mehr zusammen. » Ich dachte, ich wüsste schon alles, Bennett.«
    » Nein, tust du nicht. Bitte lies ihn.«
    Widerstrebend senke ich den Blick und lese:
    4.

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