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Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Zwischen uns die Zeit (German Edition)

Titel: Zwischen uns die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Ireland Stone
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hätte, mit ihr in die Stadt zu fahren.
    In der verrückten Hoffnung, Bennett könnte vielleicht gerade in seinem Jeep in die Einfahrt einbiegen, laufe ich zum Fenster und spähe in die Dunkelheit hinaus. Nichts. Ich stelle mir vor, wie hilflos er sich gefühlt haben muss, als er mit dem Brief in der Hand auf seinem Bett saß und zum ersten Mal in seinem Leben miterleben musste, wie jemand anderes vor seinen Augen durchsichtig wurde und verschwand.
    Der Brief.
    An dem Tag in der Cafeteria, an dem er meinen Namen hörte, wusste er genau, wer ich bin. Er wusste, dass wir zusammen gewesen waren. Und er wusste, dass er verschwinden und nicht mehr zurückkommen würde. All das hat er gewusst und mir nichts davon gesagt.
    Plötzlich verstehe ich, weshalb er während seines ersten Monats hier in Evanston nicht nur mir, sondern auch anderen gegenüber so zurückhaltend war. Er wollte keine Freundschaften schließen, weil er nicht vorhatte, zu bleiben, und er wollte sich von mir fernhalten, weil er wusste, dass wir unweigerlich wieder getrennt werden würden. Aber am Ende hat er die Entscheidung doch mir überlassen. Ich erinnere mich noch genau, was er zu mir gesagt hat, als wir auf unserem Kletterfelsen lagen. » Es gibt dich im Jahr 2012 genauso wie mich. Du lebst in einer Zukunft, in der ich nicht stattfinde, verstehst du? Aber dass du mich jetzt hier im Jahr 1995 kennengelernt hast, wo ich nicht hingehöre, wird dein ganzes Leben verändern.«
    Er hat mich nicht nur entscheiden lassen, ob ich mit ihm zusammen sein will, sondern auch, ob ich die Frau werden will, die ihm den Brief gegeben hat. Die erwachsen gewordene Sechzehnjährige, die er mit gebrochenem Herzen zurückließ und die ihn nie vergessen konnte.
    Ich erinnere mich noch genau an ihre Worte– meine Worte.
    Ich bin irgendwie auf dem falschen Weg gelandet.
    Du wirst verschwinden. Für immer.
    Aber ich weiß, wie ich das wieder korrigieren kann – ich muss mich dieses Mal nur anders entscheiden.
    Ich glaube, das wird unsere Geschichte komplett neu schreiben.
    Aber ich habe keine Ahnung, was diese Worte bedeuten. Was das für eine andere Entscheidung ist, die ich treffen soll.
    Die Straße liegt dunkel und verlassen da und wird nur vom Vollmond in sanftes Licht getaucht.
    Ich drehe mich um, gehe zu meiner Weltkarte, lege den Finger auf Evanston und fahre die ganze Strecke von Illinois quer durch die Vereinigten Staaten nach Kalifornien ab, bis ich in San Francisco lande. Würden doch nur die knapp dreitausend Kilometer Luftlinie zwischen uns liegen. Aber uns trennt viel mehr. Ein paar tausend Kilometer und siebzehn Jahre.
    Ich nehme eine Nadel aus dem Behälter und drehe sie zwischen den Fingerspitzen. Wenn ich mich konzentriere und es mir intensiv genug wünsche, kann ich mich vielleicht auch durch Raum und Zeit an einen anderen Ort teleportieren. Ich führe die Nadel an die Lippen, schließe die Augen, als hätte ich Bennetts Gabe, stelle mir sein Zimmer vor– die atemberaubende Aussicht auf San Francisco und die Bucht, den Schreibtisch mit der Glasplatte, die Schale mit den Konzerttickets– und flüstere das Datum vor mich hin. » Einundzwanzigster Mai Zweitausendzwölf. Einundzwanzigster Mai Zweitausendzwölf.«
    Als ich die Augen wieder öffne, stehe ich immer noch in meinem Zimmer, blicke auf die Weltkarte und mir laufen Tränen über die Wangen,
    Ich hebe die Hand und lasse sie einen Moment lang über dem Punkt schweben, der mit San Francisco markiert ist. Es macht ein trauriges leises Ploppgeräusch, als die Nadel das Papier durchdringt und im Styropor versinkt.

33
    Erschrocken fahre ich hoch, greife nach dem Wecker und halte ihn mir vor die Augen. Zwanzig nach zehn. Morgens! Die Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht treffen mich mit der Wucht einer Lawine. Ich wurde aus dem San Francisco des Jahres 2012 in die Gegenwart zurückkatapultiert und Bennett ist in der Zukunft geblieben.
    Mit einem Satz springe ich aus dem Bett, ziehe meine Laufklamotten an, stürze nach unten und bin zur Tür hinaus, ohne mir die Zeit zu nehmen, meiner Mutter zu antworten, die mir erstaunt hinterherruft, seit wann ich denn sonntags trainiere. Aber ich trainiere nicht, ich renne.
    Als ich eine Viertelstunde später keuchend vor Maggies Haus stehe und auf den ersten Blick sehe, dass Bennetts Jeep nicht in der Einfahrt steht, schießen mir sofort die Tränen in die Augen. Ich springe die Treppe hinauf, greife nach dem Türklopfer und lasse ihn gegen das Holz

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