Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Lonely Planet und fängt an, darin zu blättern. » Wow!«, raunt sie ein paar Sekunden später und hält mir eine aufgeschlagene Seite hin. » Schau mal, wie toll man da tauchen kann! Und hier– die Fotos von den Märkten. Was es da alles gibt! Ohhh, sogar Silberschmuck und tolle handgearbeitete Taschen.« Emma bekommt ihren berühmt-berüchtigten Will-Haben-Blick und zieht dann einen gespielt beleidigten Schmollmund. » Und ausgerechnet du, die ohne Shopping-Gen geboren wurde, fliegst dahin. Ich will mit!«
Die Frau vom Reisebüro räuspert sich und liest mir eine Auswahl von möglichen Abflugzeiten vor.
» Nimm den Mittagflug«, wirft Emma ein. » Dann kann ich dich zum Flughafen fahren.«
» Echt? Das würdest du machen?«, frage ich.
» Was ist denn das für eine Frage, Darling? Ich bestehe sogar darauf«, antwortet sie, ohne vom Reiseführer aufzublicken.
» Gut, dann nehme ich den Flug um Viertel nach zwölf«, sage ich zu der Frau, die daraufhin wieder in die Tasten hackt.
» Ts.« Emma zeigt kopfschüttelnd auf ein Foto. » Da steht, dass diese Panamahüte so dicht geflochten sind, dass sie sogar Wasser halten. Hallo? Wer kommt denn auf die Idee, einen Hut zu benutzen, um Wasser darin zu transportieren? Wobei ich Hüte generell ja cool finde und schon seit Längerem überlege, ob ich mir nicht auch mal einen zulegen soll. Leider sehen die meisten Leute mit Hut völlig bescheuert aus. Was meinst du? Habe ich ein Hutgesicht?«
Mir stockt für einen Augenblick der Atem. Obwohl sie gesund und munter neben mir sitzt und ihre Schönheit nicht von der kleinsten Narbe entstellt wird, sehe ich für den Bruchteil einer Sekunde vor mir, wie sie zerbrechlich und blass mit verschorften Schnittwunden im Gesicht im Krankenhausbett lag, während ich ihr aus genau diesem Kapitel im Reiseführer vorlas. Plötzlich springt mit lautem Surren der Drucker an und verscheucht die Erinnerung. Ich sehe Emma an und lächle. » Du kannst alles tragen, Em. Glaub mir, es gibt nichts, in dem du bescheuert aussehen würdest.«
» So bitte, Ms Greene.« Die Frau reicht mir mein Ticket, das in einem mit farbenprächtigen Meeresfischen bedruckten Umschlag steckt. » Dann wünsche ich Ihnen einen guten Flug und einen tollen Aufenthalt in Mexiko!«
» Vielen Dank«, antworte ich strahlend.
Als wir auf die Straße treten, hängt Emma sich gut gelaunt bei mir ein. Anscheinend ist es tatsächlich eine gute Idee gewesen, dass sie ins Reisebüro mitgekommen ist. Sie stößt mich mit dem Ellbogen an und grinst. » Aber ich lasse dich nur weg, wenn du mir einen von diesen wasserdichten Panamahüten mitbringst!«
38
Am letzten Schultag ist es so hochsommerlich heiß, dass nach dem Unterricht alle sofort mit Picknickkörben, Decken und tragbaren CD -Playern zum See pilgern, während ich den Nachmittag zusammen mit Dutzenden anderen verschwitzten Menschen in einer Warteschlange der Passbehörde in Chicago verbringe. Vier Stunden später steige ich als stolze Besitzerin eines Reisepasses in Evanston aus der Bahn, springe die Stufen des Bahnhofs hinunter und will mich gerade auf den Weg nach Hause machen, als mir einfällt, dass ich noch schnell bei Justin im Plattenladen vorbeigehen könnte, um die CD s abzuholen, die er mir für Mexiko mitgeben wollte.
» Hey, Anna!« Justin kommt strahlend hinter der Theke hervor, als ich durch die Tür in den leeren Laden trete. » Ich hatte schon Angst, dass du still und heimlich verschwinden würdest, ohne noch mal hier vorbeizukommen.«
» Wie bitte? Ohne mir vorher meine versprochenen CD s abzuholen? Wie soll ich denn ohne Musik in Mexiko überleben?«
Justin tut so, als wäre er am Boden zerstört. » Und ich dachte, du wärst hier, um dich von mir zu verabschieden.«
» Music was my first love«, singe ich und strecke ihm dann lachend die Zunge heraus.
» Ich vermisse dich jetzt schon.« Justin tritt grinsend einen Schritt vor und greift nach meinen Händen, genau wie Bennett es immer gemacht hat, bevor wir die Augen schlossen, um sie kurz darauf an irgendeinem anderen Ort wieder zu öffnen. » Bist du schon aufgeregt?«
» Und wie!« Ich verdrehe die Augen. » Ich kann kaum noch schlafen.«
» Wie sollen Emma und ich die Sommerferien bloß ohne dich überstehen?«, fragt Justin.
» Ihr werdet mir auch fehlen. Aber ehrlich gesagt, freue ich mich auch darauf, mal ganz woanders zu sein.«
» Ich weiß. Du hast doch schon als kleines Mädchen davon geträumt, durch die Welt zu reisen. Ich freu
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