Zwischen uns die Zeit (German Edition)
ineinanderfließende Wirbel, die ein psychedelisches Muster ergeben. Wie jedes Aquarell ist es ein Einzelstück und fügt sich perfekt in die Sammlung ähnlicher CD s, die bereits in meinem Regal stehen.
» Hey, cool!« Ich greife danach, drehe sie um und lese die Trackliste. » Danke, Justin! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie satt ich es habe, auf den gekauften Alben immer die Stücke zu überspringen, die mir nicht gefallen. Zu deinen Mix- CD s laufe ich immer am allerbesten.«
Mr Reilly hat sich für seinen Plattenladen einen CD -Brenner geleistet, auf dem Justin mir in regelmäßigen Abständen Unikate brennt, die er exklusiv für mich zusammenstellt.
» Ich will ja nicht unbescheiden sein, aber diesmal habe ich mich, glaube ich, sogar selbst übertroffen.« Er lächelt und wird so rot, dass seine Sommersprossen kaum mehr zu erkennen sind.
Ich sehe ihn an und spüre einen kleinen Stich. Justin ist einer der nettesten Jungen, die ich kenne, und manchmal wünschte ich, ich könnte mehr in ihm sehen als meinen besten Freund. » Das glaube ich dir sofort.« Mein Blick fällt auf die Uhr. 15:59. » Oh, verdammt!« Ich zeige über die Straße auf die Buchhandlung. » Ich muss Dad ablösen. Gibt es irgendein bestimmtes Buch, das du lesen willst?« Ich halte meine neue CD hoch. » Du weißt schon, im Tausch gegen die hier.«
» Eigentlich wollte ich gern noch über was anderes mit dir sprechen…« Er zögert, und ich spüre, wie ich unsicher werde, weil ich Angst habe, dass er mich jetzt gleich etwas fragen will, auf das ich ihm nicht die Antwort geben kann, die er sich vielleicht erhofft. Aber er kommt nicht dazu, den Satz zu beenden, weil genau in dem Moment eine Studentin den Laden betritt und sich wartend neben mich an die Theke stellt. Justin lächelt gezwungen. » Nicht so wichtig. Vielleicht schaue ich nachher noch mal bei dir im Laden vorbei.«
» Klar. Dann bis später!« Ich trete erleichtert den Rückzug an und danke der Kundin im Stillen dafür, mich gerettet zu haben.
***
Die Zeit kriecht im Schneckentempo dahin. Es ist nicht übermäßig viel los– Studenten der Northwestern, die sich ein bisschen umsehen und dann ohne etwas zu kaufen wieder gehen, Mütter, die in den Leseexemplaren auf dem Empfehlungstisch blättern, während ihre hyperaktive Brut die Bücher in der Kinderbuchabteilung aus den Regalen zerrt. Ich ziehe Kreditkarten durch die Maschine, sortiere Bücher ein, rücke andere zurecht, sodass sie im Regal eine gerade Linie bilden, platziere die Schwerpunkttitel so, dass die Kunden sie gleich entdecken, und schmökere nebenbei im Michelin Reiseführer über die Côte d’Azur. Um zehn vor neun lasse ich die Endabrechnung aus der Kasse, lege den Tagesumsatz in ein grünes Kunstledermäppchen und schließe es in den Tresor im Büro. Danach mache ich noch eine letzte Runde durch den Laden, lösche das Licht, drehe das Schild an der Tür auf » Geschlossen« und sperre ab.
Im Coffeehouse an der Ecke herrscht um diese Zeit Hochbetrieb. Die Klausurenphase an der Uni ist vorbei und die meisten der Gäste sehen so übermüdet aus, als hätten sie seit Freitagnachmittag durchgefeiert. Ich werfe einen Blick durchs Fenster, ob Justin mit seinen Kumpels vom Studentenradio vielleicht irgendwo sitzt, aber er ist nicht da. Im Laden ist er vorhin auch nicht mehr vorbeigekommen, wahrscheinlich war das, was er mir sagen wollte, tatsächlich nicht so wichtig.
Als ich in eine ruhige, nur spärlich beleuchtete Wohnstraße biege, die zu unserem Viertel gehört, nehme ich aus dem Augenwinkel plötzlich eine Bewegung im angrenzenden Park wahr. Ich gehe langsamer und versuche in der Dunkelheit etwas zu erkennen, als ich ein paar Meter weiter jemanden auf einer der Parkbänke sitzen sehe, der sich krümmt, als hätte er Schmerzen. Zögernd gehe ich auf die Gestalt zu und schnappe gleich darauf erschrocken nach Luft. » Bennett?« Ich beuge mich zu ihm herunter. » Bennett, bist du das?« Statt einer Antwort gibt er nur ein unterdrücktes Stöhnen von sich. » Bennett?«, sage ich noch einmal und fasse ihn an der Schulter. » Was ist mit dir?«
» Lass mich«, stöhnt er. Er versucht, den Kopf zu heben, krümmt sich aber sofort wieder und reibt sich die Schläfen. » Ich… ich kann hier… nicht weg«, stößt er abgehackt hervor. » Nicht… Nicht, bevor ich sie nicht… gefunden habe.« Schluchzend wiegt er sich vor und zurück und wiederholt immer wieder dieselben Worte. Ich bekomme es mit der Angst zu
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