Zwischen uns die Zeit (German Edition)
wünsche mir für mein Leben auch mehr von den Abenteuern und weniger vom Nichts.«
Bennetts Gesicht wird plötzlich ernst und sein Blick wandert nachdenklich zum Fenster.
» Was?«, frage ich.
Er wendet sich wieder mir zu und lächelt. » Also… um ehrlich zu sein…« In diesem Moment gongt es und er schüttelt den Kopf. » Nicht so wichtig.« Er greift nach seiner Tasche, steht auf und geht zur Tür. » Wir sehen uns später.«
Ich schaue ihm hinterher, bis er durch die Tür gegangen und im Gang verschwunden ist. Erst dann bemerke ich, dass der Bleistift noch auf dem Tisch liegt. Ich drehe meine Locken am Hinterkopf zu einem Knoten zusammen und stecke ihn damit fest.
***
» Wir sehen uns später«, hat er gesagt. Aber ich sehe ihn an diesem Tag nicht wieder. Weder in der Cafeteria noch auf dem Flur zwischen den Kursen oder nach Schulschluss auf dem Parkplatz.
Als wir am Donnerstag und am Freitag wieder zusammen Spanisch haben, bin ich mir zwar ziemlich sicher, dass er auf mich gewartet hat, weil er jedes Mal, wenn ich ins Zimmer komme, ein bisschen zu hastig den Blick abwendet. Aber es tritt nicht das kleinste Leuchten in seine Augen, als würde er sich freuen, mich zu sehen, und er lächelt auch nicht versonnen vor sich hin, wenn er in sein Heft kritzelt. Er sieht noch nicht einmal auf, wenn ich mich an meinen Platz setze. Und sobald es gongt, stürzt er sofort aus der Tür. Es ist, als hätte unser Gespräch nie stattgefunden.
6
In der Nacht von Freitag auf Samstag zieht ein Schneesturm auf, der bis in die Morgenstunden andauert, mich die halbe Nacht nicht schlafen lässt und wegen dem der Crosslauf abgesagt wird, der eigentlich am Vormittag hätte stattfinden sollen. Nachmittags mache ich mich immer noch müde auf den Weg zum Buchladen. Als ich es geschafft habe, heil dort anzukommen, ohne mir auf den spiegelglatten Wegen etwas gebrochen zu haben, und sogar noch dreißig Minuten Zeit habe, bis meine Schicht beginnt, beschließe ich, mir einen Latte zu holen und noch schnell im Plattenladen gegenüber vorbeizuschauen.
» Anna!«, begrüßt mich Justin über die aus den Deckenlautsprechern wummernde Musik hinweg. Er kommt hinter der Kasse hervor und umarmt mich. » Hey! Lange nicht gesehen. Wie geht’s dir?«
» Sehr gut«, sage ich und drehe den Kopf weg, als er mir einen Kuss geben will. Keine Ahnung, warum. Ich liebe ihn wirklich über alles, aber zu viel körperliche Nähe ist mir irgendwie unangenehm. Mir entgeht nicht, dass er für den Bruchteil einer Sekunde enttäuscht aussieht.
» Wer ist das?«, wechsle ich schnell das Thema und zeige auf den Lautsprecher an der Decke.
» Meine neueste Errungenschaft.« Er sieht sich um, wie um sich zu vergewissern, dass uns niemand zuhört, was gar nicht sein kann, weil kein einziger Kunde im Laden ist. » Ein Demo, das der Drummer von Nirvana gerade aufgenommen hat. Elliot hat es mir geliehen.«
Ich weiß zwar nicht, wer Elliot ist, nehme aber an, dass er auch bei dem Studentenradiosender arbeitet, wo Justin jetzt schon seit drei Monaten ein Praktikum macht. Während ich davon träume, die abgelegensten Orte der Welt zu bereisen, ist es sein größter Wunsch, ein paar Straßen weiter ins Studentenheim zu ziehen, Medienwissenschaften zu studieren und The Rock Show zu moderieren.
» Willst du es dir ausleihen?«, fragt er.
Ich schüttle den Kopf, weil ich weiß, was für ein Schatz das für ihn ist. » Nein, das ist echt wahnsinnig nett von dir, aber…«, doch da ist er schon hinter der Theke verschwunden und beugt sich zur Anlage herunter. Die Musik verstummt und er kommt mit einer CD zurück und drückt sie mir in die Hand. » Hier, hör sie dir in Ruhe an. Ich bin gespannt, was du davon hältst.«
» Im Ernst?«
» Ja, klar. Es reicht, wenn du sie mir irgendwann nächste Woche zurückbringst.«
» Wow, danke!« Strahlend presse ich mir die CD an die Brust.
» Ich könnte mir vorstellen, dass sie dir gefällt.«
» Wenn du es sagst, bestimmt. Du kennst meinen Geschmack besser als ich selbst.«
Er sieht mich so stolz und glücklich an, dass es mir schon wieder fast unangenehm ist.
» Ist in letzter Zeit sonst irgendwas Gutes rausgekommen?« Ich zeige auf die Kiste mit den Neuerscheinungen.
» Das sind bloß die Mainstreamsachen. Ich habe was Besseres für dich.« Er geht wieder hinter die Theke, holt eine CD aus dem Fach unter der Kasse und legt sie vor mich hin. Das Cover ist mit Wasserfarben selbst gemalt– blaue, rote und grüne
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