Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Tausend Dank, Emma! Du bist wirklich die Allerbeste, Emma! für mich übrig?« Den Blick auf die Fahrbahn geheftet, zuckt sie resigniert die Achseln. » Die Telefonnummer habe ich nicht.«
» Aber ich wollte ihn doch bloß anrufen.«
» Was kann ich dafür, dass sie die Nummer nicht dazugeschrieben hat? Außerdem– worüber regst du dich überhaupt auf? So ist es doch viel besser.«
» Aber das bedeutet, dass ich zu ihm nach Hause muss!« Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken.
Emma grinst. » Ja, eben.«
***
Eine Stunde später stehe ich hinter einer Hecke, spähe zwischen den Zweigen hindurch zum Haus mit der Nummer 282 hinüber und komme mir wie eine durchgeknallte Stalkerin vor. Das stattliche Fachwerkhaus im Tudor-Stil mit vielen Türmchen und Erkern ist wirklich beeindruckend. Soweit ich es von meinem Standort aus erkennen kann, steht hinten im Garten sogar auch noch ein altes Kutscherhäuschen. Näher bin ich bis jetzt nicht an das Gebäude herangekommen, weil ich zu feige war, meinen Beobachtungsposten hinter der Hecke zu verlassen.
Herrgott, jetzt reiß dich mal zusammen, Anna!, ermahne ich mich stumm, nehme all meinen Mut zusammen, trete hinter der Hecke hervor und gehe mit entschlossenen Schritten auf das Haus zu. Auf dem gepflasterten Weg, der zum Eingang führt, ist kürzlich Schnee geschippt worden. Obwohl es erst halb sechs ist, hat bereits die Dämmerung eingesetzt. Meine Beine zittern, als ich die Treppenstufen hinaufgehe, nach dem Türklopfer in Form eines Löwenkopfes greife und ihn gegen das Holz fallen lasse.
Ich warte.
Nichts passiert.
Ich klopfe noch einmal und stelle den Kragen meiner Jacke hoch, an der ein eisiger Wind zerrt. Wieder nichts. Als ich mich gerade umdrehen und– teils erleichtert, teils enttäuscht– gehen will, höre ich Schritte hinter der Tür und dann die Stimme einer alten Frau. » Wer ist denn da?«
» Entschuldigen Sie bitte«, rufe ich erschrocken. » Eigentlich wollte ich zu den Coopers, aber ich glaube, ich habe mich im Haus geirrt.« Bevor ich fliehen kann, wird von innen ein schwerer Riegel zur Seite geschoben, die Tür geht auf und vor mir steht eine Frau, die ganz bestimmt nicht Bennetts Mutter ist, dazu ist sie schon zu alt. Trotzdem sieht sie mit ihren schulterlangen schlohweißen Haaren und den tiefblau leuchtenden Augen umwerfend aus. Sie trägt eine Art schwarzen Kaftan und hat sich ein rotes Tuch um den Kopf geschlungen.
» Hallo. Was kann ich für dich tun«, fragt sie mit einem freundlichen Lächeln.
» Guten Tag. Ich wollte zu Bennett Cooper, aber ich glaube, ich bin hier falsch. Entschuldigen Sie bitte vielmals die Störung.«
» Nein, nein, du bist hier schon richtig. Bennett ist oben in seinem Zimmer. Komm schnell rein, bevor du dir da draußen noch den Tod holst.« Sie hält einladend die Tür auf und tritt einen Schritt zur Seite, um mich vorbeizulassen. » Ich bin Maggie«, stellt sie sich vor und streckt mir die Hand hin.
Ich schüttle sie und lächle verlegen.
» Dann bist du also mit Bennett befreundet?«, erkundigt sie sich.
» Äh… wir kennen uns noch nicht so lang«, antworte ich ausweichend. Bin ich mit ihm befreundet? » Tut mir leid, dass ich einfach so bei Ihnen hereinplatze. Ich hoffe, ich störe nicht.«
» Aber nicht doch, Liebes. Du störst kein bisschen!« Sie deutet auf einen Raum, der hinter einer halb offen stehenden Bogentür liegt. » Setz dich doch schon mal ins Wohnzimmer, dann gehe ich ihn schnell holen.«
Sie schließt die Tür und nimmt mir meine Jacke ab, um sie an die Garderobe zu hängen. Während sie nach oben geht, trete ich schüchtern in den großzügig geschnittenen Raum, der sehr geschmackvoll und behaglich mit antik aussehenden Möbeln eingerichtet ist. Die schweren Vorhänge vor den hohen Sprossenfenstern sind zugezogen und in einem Kamin prasselt ein Feuer, das alles in einen warmen Lichtschein taucht. Statt mich auf die breite Ledercouch zu setzen, schlendere ich durchs Zimmer und sehe mich um. In den Bücherregalen, die an einer Wand vom Boden bis zur Decke reichen, stehen sämtliche große Klassiker der Weltliteratur. Die Sammlung ist so umfangreich, dass sie es mit einer gut sortierten Buchhandlung aufnehmen könnte. Mein Blick wird von einer großen alten Schwarz-Weiß-Fotografie angezogen, die über einer Kommode hängt und ein junges Brautpaar zeigt. Um das Bild herum hängen etliche weitere Fotos unterschiedlichen Formats, auf denen hauptsächlich ein kleines dunkelhaariges
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