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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Straeter
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ab und zu große Steinplatten benutzen, um sumpfige Stellen zu überqueren.
    Trotz des unangenehmen Wetters haben wir herrliche Ausblicke übers Meer bis zu den im Dunst verschwimmenden Aran Islands. Wir können den schwarz-weißen Leuchtturm von Inisheer erkennen.
    Dann erreichen wir die höchste Klippe, das Bullenkliff/Mothar a Thairbh. Unter uns tobt das Wasser, wehe dem , der hier Schiffbruch erleidet. Auf unserem weiteren Weg kommen wir an mehreren stillgelegten Steinbrüchen vorbei. Auf den Zentimeter dicken Steinschichten entdecken wir Würmerspuren, die wie Schriftzeichen aussehen. Dreihundert Milli onen Jahre alten Kriechspuren von Tieren können wir mit dem Finger nachfahren! Die Steinplatten werden unter anderem für Fußöden verwendet, wie wir ab jetzt in einigen Gebäuden erkennen werden.
    Einmal entdecken wir ein völlig verrostetes und auseinandergefallenes Autowrack am Klippenrand. Welche Mühe es gemacht haben muß, den Schrott hier hinaufzubringen! Denn wie wir gehört haben, soll es üblich sein, ausrangierte Autos in die Sümpfe zu kippen. Das irische Umweltbewußtsein hat gewaltigen Nachholbedarf.
    Wenn wir unseren Blick von der großen Weite des graugrünen Meeres, den dunstigen Arans und den Regenwolken abwenden, erkennen wir die Vielfalt am Wegesrand. Rosa Leimkraut, gelber Kriechginster, blaue Veilchen, purpurrotes Knabenkraut (eine Orchideenart) zeigen sich ebenso wie das gefleckte Knabenkraut in weiß und rosa, die rosa Kuckuckslichtnelke, der weiße Wiesenkerbel und der violette Ehrenpreis. Diese vielen Namen! Ilse hat Geduld mit mir, sie kennt sich am Wegesrand gut aus. Meine Aufgabe ist es hingegen, den Wanderführer zu spielen, ich bin für das Finden der Wege, vor allem der Rückwege, verantwortlich. Trotzdem versuche ich mit einem zaghaften: Ist dies nicht Gamander Ehrenpreis? mein Halbwissen zu retten.
    An den Steilfelsen sollen acht verschiedene Vogelarten nisten. Gesehen haben wir natürlich Möwen, ihr ständiges Geschrei ist unüberhörbar. Die steilen Felswände sind mit den weißen Tupfern ihrer Nester übersät. Unaufhörlich schweben sie umher, hinauf und hinunter.
    Nicht entdecken können wir Tölpel, Trottellummen, Sturmtaucher (Puffins) und die schwarzen Papageientaucher mit ihren gelben Schnäbeln. Aber ab und zu hockt ein dunkler Kormoran auf einem Felsen, die Flügel zum Trocknen ausgespannt wie ein Gekreuzigter, sein unverwechselbares Kennzeichen.
    Ich zitiere aus einem kleinen Lexikon: »Phalacrocorax carbo, ein schwärzlicher Wasservogel, der bis zu neunzig Zentimeter lang wird, taucht und seine Nahrung unter Wasser fängt .«
    Ilse wirft mir einen zweifelnden Blick zu.
    »Tja, Wiesenkerbel ist nicht alles«, füge ich hinzu.
    Das kleine Lexikon ist längst wieder in der Seitentasche meines Anoraks verschwunden.
    »Das hat dir die Hexe gesagt«, ruft sie und zeigt voraus. Da steht er, nach zweistündiger Wanderung am Abgrund entlang: Hag’s Head, der Hexenturm. Einer der vierundsiebzig Martello-Türme, die 1808 als Wachttürme gegen die gefürchtete Invasion Napoleons gebaut wurden. Es heißt, Napoleon habe bereits den Plan gehabt, unter der schmälsten Stelle des Ärmelkanals einen Tunnel zu bauen. Das mußte mißlingen, man war damals technisch noch nicht so weit. Stattdessen verhängte er eine Wirtschaftsblockade gegenüber England. Heute könnte der kleine Korse bequem mit seinem Citroen im Autoreisezug unter Wasser ins nicht mehr feindliche England rollen...
    Einsam klammert der Turm sich auf einer vorspringenden Klippe fest, viereckig klobig, aus grauem Stein, mit zwei Ausbuchtungen wie Ohren, einigen wenigen Schießscharten. Im Turm gibt es keine Treppe, keine Leiter, kein Dach. Es regnet auf den Unrat, den Menschen hinterlassen haben.
    Der Wind pfeift und klatscht uns die nassen Kapuzen um die Ohren. Mehr schlecht als recht geschützt, lassen wir uns am Fuß des Turms nieder. Etwas Gutes hatte Napoleon doch...
    Wir essen unser karges Wurstbrot, trinken einen Schluck Wasser. Wahrlich ein Hexenort — und es wäre uns noch seltsamer geworden, wenn wir gewußt hätten, daß wir auf einem Felsüberhang sitzen.
    Zum Meer hin beugt sich ein kleines Kap über die Brandung, als ich zurückschaue, sitzt Ilse klein und verloren vor dem Hexenturm. An Malen ist wirklich nur zu denken. Wir frieren. Manchmal wünschen wir uns an den heimischen Kaminofen...
    Kann man hier Wünsche äußern? Am Hexenturm? Wenn sie denn käme, die Hexe!

    »Hoch über der brodelnden

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