Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
so einer Nacht gibt man sich locker und liberal, man feiert demokratisch. Nur die Putzfrau war nicht eingeladen; sie ist alt und häßlich. Es war ein sehr gelungenes Fest. Alle freuten sich, das neue Jahr gemeinsam begießen zu können, es sinnlos zu ersäufen in ihren blöden Witzen und in ihrem schrecklichen Gegröle. Wer, glaubst du, war dann als einzige tatsächlich betrunken? Ich natürlich. Das neue Jahr hatte meiner Meinung nach etwas Besseres verdient. Ich verbrachte den Rest der Nacht auf der Toilette. Und dort beschloß ich wegzugehen. Ich wußte nur nicht gleich, wohin. Ich wartete, dachte viel nach, lebte mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart und sehnte mich immer mehr nach der rohen, unfertigen Art unseres gemeinsamen Lebens, begriff, wie wertvoll es war, und wünschte zu wiederholen, was sich vielleicht nicht wiederholen läßt.“
    Alles wiederholt sich , denkt Ann-Marie, als sie die große, schwarze Limousine erblickt.
    Ihre Freundin hat sie vor zwei Monaten mit diesem Wagen vom Flughafen abgeholt.
    „Warum fährst du Annas Mercedes?“
    „Mein Alfa befindet sich gerade in der Werkstatt. Diese Italiener sind wirklich der letzte Dreck. Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel ich schon in diese Scheiß-Kiste hineinstecken mußte. Außerdem werde ich mir zwei Autos auf Dauer ohnehin nicht leisten können. Ich denke, ich werde meinen verkaufen und Annas Familienkutsche behalten, sie ist viel besser in Schuß.“
    Alfred hat den Wagen in der Nähe des Restaurants geparkt. Galant öffnet er Ann-Marie die Tür. Sie stellt sich vor, wie oft Anna auf seinem Platz gesessen ist, und beginnt zu weinen.
    Der verdammte Alkohol!
    Er tätschelt tröstend ihr Knie. Am liebsten würde sie ihn ohrfeigen, sie bittet ihn jedoch zu erzählen, wie Anna ihre letzten Stunden verbracht hat.
    „Ich muß dich leider enttäuschen, ich war nicht in Wien, als es passiert ist, bin erst am Montag zurückgekommen, genauer gesagt, am späten Vormittag. Die Polizei hat mich sofort verständigt. Ich hatte geschäftlich in Salzburg zu tun, war im ‚Bayrischen Hof‘ abgestiegen – dort wohne ich immer, wenn ich in Salzburg bin – und bin noch im Bett gelegen, als der Anruf kam. Du kannst dir vorstellen, was für ein Schock das war. Natürlich habe ich mich sofort auf den Weg nach Wien gemacht. In so kurzer Zeit habe ich diese Strecke noch nie geschafft, hab den Fuß nicht mehr vom Gaspedal genommen. Ein wahres Wunder, daß ich keinen Unfall gebaut habe, mein Alkoholspiegel war auch nicht ohne. Ich hatte die halbe Nacht lang mein Glück im Casino versucht und einige Bars unsicher gemacht. Salzburg ist ein richtiges Provinznest, viel kann man dort an einem Sonntagabend nicht anfangen. Du weißt ja, wie es ist, wenn man allein in einer fremden Stadt …“
    Er betont das Wort ‚allein‘.
    „Na, wie gesagt, ich hab einen Ordentlichen sitzen gehabt und bin erst in den frühen Morgenstunden zurück in mein Hotel gewankt. Als diese Hiobsbotschaft eintraf, war ich zuerst wie gelähmt, doch dann habe ich fast wie ein Automat reagiert. Besessen von einem einzigen Gedanken – ich wollte sie unbedingt noch einmal sehen – bin ich losgerast. Aber ich bin zu spät gekommen. Man hatte sie bereits fortgebracht. Sie muß sofort tot gewesen sein, hat keine Schmerzen gehabt, das war mir ein gewisser Trost.“
    Ann-Marie bezweifelt, daß ihre Freundin nichts mehr gespürt hat.
    Wie lange dauert es, wenn man aus dem siebten Stock stürzt? Mindestens ein paar Sekunden. Sekunden der Angst. Man macht sich fast an vor Angst. Man spürt Schweißtropfen auf der Stirn. Man sieht alles, was rings um einen vorgeht, doppelt deutlich. – Vielleicht lief ihr ganzes Leben wie im Zeitraffer vor ihren Augen ab. – Und dann? Was geschieht dann?
    „Niemand wird betrübt sein, wenn ich plötzlich von der Bildfläche verschwinde. Ich habe hier keine Freunde. So sehr ich mich auch bemühe, auf Menschen zuzugehen, ich habe immer das Gefühl, daß sie mich ablehnen. Entweder halten sie mich für abweisend und arrogant oder für langweilig. Ich bin unsicher, nein, richtiggehend ungeschickt im Umgang mit anderen. Ein typisches Einzelkind? Egoistisch und nur mit mir selbst beschäftigt? Aber du hast auch keine Geschwister und kommst dennoch mit anderen Leuten gut aus. Vielleicht, weil du auf der Straße groß geworden bist? Ich war viel zu sehr behütet. Meine Eltern hielten mich schon als Kind für ein kleines Genie, dabei war ich nur altklug und

Weitere Kostenlose Bücher