Zwischen zwei Nächten
nicht zu. Anna hat ihn nicht richtig eingefahren. Ich bin überzeugt, er schafft locker 200 Sachen, man muß ihn nur ein bißchen treten.“
Ann-Marie schaut gelangweilt auf die Uhr.
„Die Zeit vergeht viel zu langsam. Ich freue mich schon auf das Klimakterium, hoffe, daß mich Sex oder das, was man Liebe nennt, dann noch weniger interessieren wird als heute. Du bist nicht meiner Meinung? Nun gut, falls ich dann immer noch Bedürfnisse haben sollte, kann ich sie wenigstens ungestört genießen, ohne Angst vor Schwangerschaft und ohne diese lästigen Verhütungsmittel. Und ich werde auch endlich von dem Druck, um jeden Preis schön oder zumindest attraktiv sein zu müssen, befreit sein. Als alte Frau wird man sowieso nicht mehr beachtet, egal wie schön man aussieht. Falls du recht haben solltest und ich auch mit Sechzig noch Gelüste nach zartem, jungen Fleisch verspüre, so kann ich ja dafür bezahlen, sofern ich so gut bei Kasse bin wie heute. Ich glaube, es wäre mir nicht unangenehm, für Sex zu bezahlen. Allein die Vorstellung reizt mich. Ich habe es noch nie probiert. Hast du eine Ahnung, wieviel solche Jungen verlangen? Natürlich nicht, woher solltest ausgerechnet du das wissen. Du wirst sie dein Leben lang umsonst haben können. Jedenfalls freue ich mich aufs Altwerden. Ich male mir gern aus, wie wir beide uns dann in einem dieser häßlichen und sterilen Altersheime niederlassen, miteinander ein Zimmer teilen wie in unserer Jugend. Ewig meckernd und ständig angesäuselt, werden wir endlich ungehindert all unsere Marotten ausleben können, einander auf die Nerven fallen, wegen jeder Kleinigkeit streiten wie ein altes Ehepaar und doch nicht ohne einander sein können. Ich freue mich darauf, mit dir alt zu werden, Annemarie. Wir werden zusammen auf einem winzigen Balkon sitzen – unsere arthritischen Knie eingepackt in warme Wolldecken –, den Bäumen beim Sterben zusehen und über die anderen Heiminsassen lästern oder übers Essen schimpfen. Wir werden uns gegenseitig beschuldigen, beim Pokern zu betrügen, und du wirst mir mein ganzes Geld abknöpfen, weil du im Schwindeln viel geschickter bist als ich. Natürlich müssen wir dafür sorgen, daß immer genügend Bier und Wein im Haus ist. Oder, glaubst du, herrscht im Altersheim Alkoholverbot? Dann ziehen wir nicht hin. Vielleicht werde ich mir auch einen Hund zulegen und du dir eine Katze. Ich fürchte allerdings, daß dort das Halten von Tieren tatsächlich verboten ist. Wahrscheinlich werden wir uns mit einem dummen Vogel oder gar mit Stofftieren begnügen müssen.“
Ann-Marie lachte, sie hatte weder für Vögel noch für Stofftiere viel übrig.
„Ich fürchte, wir werden diese Idylle nicht mehr erleben. Uns bleibt nur die Wahl zwischen Lungenkrebs und Leberzirrhose.“
„Ich brauche unbedingt etwas zu trinken. Laß uns noch irgendwo einkehren.“
Ann-Marie willigt ein.
Er hält vor einer Bar, in der es nur Sekt gibt, wie die Neonreklame über dem Eingang verrät.
Sie zeigt sich nicht sehr beeindruckt, als er ihren Arm nimmt und sie in das perfekt durchgestylte Lokal führt. Die schicken Typen an der Theke mustern sie unverschämt. Sie fühlt sich nicht wohl. Alfred dagegen scheint in Gesellschaft dieser Angeber richtig aufzublühen. Er wirkt gleich weniger deprimiert, leert sein Glas in einem Zug und bestellt ein zweites.
„Sekt belebt den Kreislauf.“
„Mein Kreislauf ist in Ordnung. Anna hatte einen viel zu niedrigen Blutdruck, aber das soll ja besser sein als ein zu hoher. Weißt du, ob sie nach eurem Telefonat noch mit jemand anderem gesprochen hat?“
„Nein, ich glaube nicht. Sonntags ist niemand im Büro, nicht einmal dieser Steiner. Wahrscheinlich hat sie schon in der Früh mit dem Trinken begonnen.“
„Aber Frau Maricek …“
„Ja?“
„Sie war demnach die letzte, die Anna lebend gesehen hat.“
„Das ist gut möglich.“
„Sie hat nicht den Eindruck gehabt, daß Anna niedergeschlagen war. Angeblich hat sie sich sogar sehr gut gefühlt.“
„Glaubst du im Ernst, daß Anna einer Putzfrau ihre wahren Gefühle gezeigt hätte? Sie hat doch immer Distanz gehalten, war eine richtige Grande Dame.“
Ann-Marie will widersprechen, läßt es dann aber bleiben. Sie sehnt sich plötzlich nach New York, nach ihrer Straße und vor allem nach ihrer Feuerleiter. Selbst die schäbige Bar, in der Jeff arbeitet, wird, verglichen mit dieser feudalen Sektbar, zu einem geradezu paradiesisch anmutenden Ort.
„Ich gerate ins
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