Zwischen zwei Nächten
nachdenke, desto besser gefällt mir diese Idee.“
Ann-Maries skeptischer Gesichtsausdruck ließ sich schwerlich mißinterpretieren.
„Du glaubst mir nicht? Ich meine es ernst, todernst. Auf jeden Fall muß ich rasch handeln und Alfred zuvorkommen. Er drohte nicht nur einmal, mich für verrückt erklären zu lassen. Zuerst riet er mir zu einer Analyse. Als ich mich dann dazu entschloß, war es ihm auch nicht recht. Andauernd meckerte er, daß mich mein Analytiker zu sehr in meinem egoistischen Verhalten bestärke. Außerdem war er auf einmal der Ansicht, es koste zu viel Geld – mein Geld! Wenn schon eine Therapie, dann sollte ich mich wenigstens bemühen, sie von der Krankenkasse bezahlt zu bekommen. Er wollte, daß ich mich für ein paar Wochen in die Psychiatrie begäbe. Doch diesen Gefallen tat ich ihm nicht. Es ging ihm nur darum, einen Beweis für meine psychische Labilität in der Hand zu haben. Eine Zeitlang befürchtete ich, er würde versuchen, mich entmündigen zu lassen.“
„Du weißt, ich kann deinen Alfred nicht ausstehen, aber das traue selbst ich ihm nicht zu“, unterbrach sie Ann-Marie.
„Vielleicht hast du recht, und ich leide tatsächlich unter Verfolgungswahn, wie mein Mann gern behauptet. Jedenfalls erklärte er mich nicht nur für total frustriert, sondern auch für paranoid und erzählte es jedem, der gewillt war, sich diesen Quatsch anzuhören. Vor zwei Jahren glaubte er, mir noch unbedingt ein Kind anhängen zu müssen. Ich schrieb dir damals einen langen Brief, und du hast ausnahmsweise darauf geantwortet, wenn ich mich richtig erinnere. Mit einem Baby hoffte er, mich endgültig an sich zu ketten. Aber so verrückt war ich nun auch wieder nicht. Leider vertrug ich keine Pille. Als es dann trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen, die meistens in Verweigerung ausarteten, tatsächlich passierte, ließ ich mir sofort einen Termin im Ambulatorium am Fleischmarkt geben. Die Abtreibung verlief völlig problemlos. Zwei Tage später ging ich schon wieder ins Büro. Er hielt es für anormal, daß ich das höchste Glück einer Frau, die Mutterschaft, verweigerte. Damals kam er auf die Idee mit der Therapie. Er machte mir schreckliche Szenen, führte sich auf wie ein Landpfarrer, sprach von Mord und spielte den Moralapostel. Ausgerechnet er! Außerdem warf er mir Unweiblichkeit vor – ein Kompliment aus seinem Mund. Das Schlimmste war aber, daß er meinen toten Vater mit ins Spiel brachte. Immer wieder bekam ich zu hören, daß sich der alte Herr nichts mehr auf der Welt gewünscht hätte als einen männlichen Erben. Damit klopfte er mich weich. Psychoterror in Reinkultur. Ich heulte Tag und Nacht und suchte mir, als mir die Tränen ausgingen, einen Analytiker. Mein Gott, war das eine nette Zeit! Ich frage mich nur, warum ich ihn nicht schon damals verlassen habe. Meine Ängste waren längst nicht mehr gesellschaftlicher Natur. Was erwartete ich mir noch von Alfred?“
Ann-Marie hat nie verstanden, warum sich ihre Freundin ausgerechnet mit diesem Aufsteiger einlassen mußte. Sie vergleicht Alfred mit dem fremden Mann, der neben ihr sitzt, und dieser Vergleich fällt sehr schmeichelhaft für den Trinker aus.
Sie kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch Anna dem Alkohol sehr zugetan war.
Ob sie an jenem Abend zuviel getrunken hat?
Ann-Maries Nerven sind nicht die besten. Sie massiert ihre Schläfen, doch das Pochen in ihrem Kopf wird stärker.
Verzweifelt greift sie nach dem Arm ihres Tischnachbarn. Aber ‚Annas Liebling‘ ist nicht mehr ansprechbar.
Ein Joint scheint die einzige Rettung. Zitternd steht sie auf, langt nach ihrer Handtasche und geht aufs Klo.
Der Geruch ist unverkennbar, hoffentlich kommt jetzt keiner rein.
Nach ein paar Zügen fühlt sie sich besser.
Als sie ins Extrazimmer zurückkehrt, ist auch Alfred wieder da. Er steht in der Tür und spielt ungeduldig mit seinem Schlüsselbund. Die beiden gutsituierten Herren und ihre Begleiterinnen brechen auf. Mit lachenden, von Wärme und Alkohol geröteten Gesichtern verabschieden sie sich von Alfred und bedanken sich für den großartigen Abend und das ausgezeichnete Essen.
Alfred weiß Ann-Maries Blick richtig zu deuten.
„Ich habe sie einladen müssen, wichtige Geschäftspartner, der eine ist sogar Ministerialrat im Bautenministerium. Mir ist nichts anderes übriggeblieben, verstehst du?“
Sie versteht überhaupt nichts mehr und schlägt vor, den Betrunkenen nach Hause zu bringen.
„Der findet seinen Weg schon
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