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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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intellektuell überfordert. Jedenfalls habe ich weder Freunde noch Familie. Alfred kann man wohl nicht als meine Familie bezeichnen. Bedenkt man allerdings, was meine lieben Eltern an mir verbrochen haben, so scheine ich mich trotzdem relativ gut entwickelt zu haben. Menschenscheu und realitätsfremd zwar, aber wenn ich mir vorstelle, was sonst noch aus mir hätte werden können, jagen mir kalte Schauer über den Rücken. – Erinnerst du dich noch an meinen letzten Besuch in New York? Wie eine kleine Streberin lief ich herum, wollte mir nichts entgehen lassen, alles mitnehmen und verwerten. Ich hatte nur Augen und Ohren für diesen überaus wichtigen Kongreß, der völlig unwichtig war. Wichtig warst allein du, aber das kapierte ich erst viel später. Ich genoß es, all diese interessanten und einflußreichen Leute um mich zu scharen, und scharte mich im Endeffekt um sie. Unbedingt mußte ich sie kennenlernen, mich mit ihrer Bekanntschaft schmücken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie scheißegal sie mir heute sind. Aber wahrscheinlich brauchte ich diesen Zirkus zur Stärkung meines schwer angeschlagenen Selbstbewußtseins. Kurz zuvor war ich dahinter gekommen, daß Alfred mich betrügt. Also mußte ich mir beweisen, wie attraktiv und interessant ich bin. Du darfst nicht glauben, daß ich jetzt versuche, mein damaliges Verhalten zu rechtfertigen, ich möchte es nur dir und mir selbst erklären. Obwohl ich denke, daß du es ohnehin verstanden hast, so wie du immer alles verstehst, was mich betrifft. Du hast mir längst verziehen, habe ich recht?“
    Ann-Marie antwortete nicht, sondern nickte nur zerstreut. Sie dachte an das Haus, in dem sie zur Zeit wohnte. Eigentlich befand es sich in gar keinem so üblen Zustand. Die eingeschlagenen Fensterscheiben ließen sich erneuern, und mit ein bißchen Kleingeld konnte man auch den linken Trakt renovieren. Der Gedanke, Anna für den Rest ihres Lebens bei sich zu haben, war doch sehr verführerisch.
    Sie war froh, daß Anna nicht vorhatte, gleich mit ihr hinüberzufliegen. So gewann sie etwas Zeit, um alles für ihre Ankunft vorzubereiten.
    Auf jeden Fall wollte sie gleich nach ihrer Rückkehr beginnen, die Wohnung herzurichten. Vor allem die Wände und die Feuerleiter benötigten dringend einen neuen Anstrich.
    Die Feuerleiter war Ann-Maries Lieblingsplatz. Wann immer sie in Ruhe einen Joint rauchen oder ein Bier trinken wollte, setzte sie sich hinaus auf den schmalen Treppenabsatz. Stundenlang träumte sie einfach vor sich hin oder beobachtete die Leute unten auf der Straße. Man kannte sich, wechselte ein paar freundliche Worte miteinander oder ließ einander in Frieden, je nachdem, wozu man gerade Lust hatte.
    Gleich neben ihrem Haus stand eine alte, dem Verfall preisgegebene Fabrik. Dieses Objekt würde Anna bestimmt interessieren, sie war doch auf Revitalisierungsprojekte spezialisiert. Ann-Marie sah sich bereits in einem zweihundert Quadratmeter großen Atelier.
    „Woran denkst du?“, fragte Anna.
    „Ich zerbreche mir seit Tagen den Kopf, aber ich komme auf keinen grünen Zweig. Noch am frühen Abend habe ich mit ihr telefoniert. Sie hat etwas deprimiert geklungen, hat schon einiges getrunken gehabt, das habe ich an ihrer Stimme gemerkt. Außerdem hat sie ziemlich viel Unsinn geredet, mir eine Eifersuchtsszene gemacht, obwohl sie genau gewußt hat, daß ich allein nach Salzburg gefahren bin. Ich habe mich bemüht, sie zu beruhigen, so gut es eben über Telefon gegangen ist. Wir haben etwa eine halbe Stunde lang miteinander gesprochen, und zuletzt hab ich geglaubt, es wär mir gelungen, sie zu besänftigen. Jedenfalls hat sie mir versprochen, früh ins Bett zu gehen und keine Schlaftabletten zu nehmen. Ich hab mir Sorgen gemacht, leider viel zu geringe. Ich habe nur befürchtet, daß ihr schlecht werden könnte, deshalb habe ich sie beschworen, ja keine Tabletten zu schlucken. Du weißt vielleicht, daß sie sich eingebildet hat, ohne Valium kein Auge zumachen zu können.“
    Er läßt seinen Kopf aufs Lenkrad fallen und schluchzt herzzerreißend. Zum Glück halten sie gerade an einer Kreuzung. Die Ampel zeigt Rot.
    Was für ein erbärmliches Schauspiel!
    Ann-Marie schenkt ihm einen verächtlichen Blick.
    „Es ist grün, Alfred.“
    Anscheinend ist er tatsächlich verwirrt. Der Motor stirbt ab. Hinter ihm ertönt aggressives Hupen. Verärgert gibt er Gas und legt einen Formel-1-Start hin. Sie klammert sich an ihren Sicherheitsgurt.
    „Traut man dem Schlitten gar

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