Zwischenfall in Lohwinckel
weicher Zackenflug wischt sie immer wieder gegen die Gesichter der starrenden Leute von Lohwinckel.
Es gibt wenige, die Herrn Profet die Geschichte nicht gönnen. Aber, du lieber Gott, es ist kein übermäßiger Grund zur Schadenfreude. Selbstverständlich ist Herr Profet versichert, und wahrscheinlich wird er, der Mann, der alles lukrativ zu machen versteht, aus dieser Katastrophe noch mit einem kleinen Nutzen hervorgehen. Neue Arbeitsräume an Stelle der alten, helle, hygienisch einwandfreie, deren Baukosten nun nicht er, sondern die Versicherung zu tragen hat. Zwar der Fabrikbetrieb natürlich ist fürs erste gestört, aber den Schaden daraus könnte unter Umständen die Arbeiterschaft zu tragen haben. Die alten Arbeiter, die flauen und besorgten, stehen schon in Kummergruppen beisammen und murmeln von Abbau und zeitweiser Stillegung. Aber auch die Radikalen denken nicht an ihre Streikabsichten, solange es brennt, sie stehen in Ketten vor dem Hauptgebäude, triefend von rußigem Schweiß, und schützen die wichtige Gießerei, in der zwei Schichten zu fünfundzwanzig Mann Beschäftigung und Brot finden.
Herr Profet selber hält sich gut bei der Sache. Erstens einmal tut er als einfaches, chargenloses Mitglied der freiwilligen Feuerwehr seine Pflicht und pumpt abwechselnd mit Herrn Markus aus Leibeskräften Wasser in die alte Spritze mit ihrem vorweltlichen System, es ist eine harte Arbeit für einen beleibten Mann. Sodann aber verliert er weder Kopf noch Laune, er macht sogar Späße mitten im einstürzenden, niederkrachenden, sengenden, qualmenden Malheur, er verspricht eine Stiftung für die Feuerwehr, lobt die Arbeiter, ruft Freibier aus und sorgt für Ablösung unter den Mannschaften. Es ist, alles in allem, eben doch ein kleiner Napoleon, ein Mann der geringen Anfänge und der großen Erfolge. An einem Abend wie diesem zeigt sich die breite, volkshafte Tüchtigkeit seines Wesens und läßt es verstehen, warum er es ist, der hochkommt, und nicht Herr von Raitzold – um ein Beispiel aus der Gegend zu nehmen.
Herr von Raitzold stand zwischen den andern Lohwincklern und schaute dem Brande zu, ein wenig bedrückt durch das Gefühl, daß er Herrn Profet damit zuviel Ehre erweise. Aber die Anziehungskraft des Feuers war so stark und dieses Aufbrechen und Niederprasseln kam seiner inneren Verfassung so entgegen, daß er sich nicht davon losreißen konnte. Wie alle andern, wurde auch er nach einiger Zeit heiser von der durchrußten Luft und bekam beißende, tränende Augen, und seine Haut überzog sich mit einer dünnen schwarzen Schicht, während er fortfuhr, fasziniert in das Brennen zu starren. In dem Maß, wie das Feuer in sich zusammensank und kleiner wurde, lichtete sich auch der Kreis der Zuschauenden, und der Gutsbesitzer gelangte langsam aus der vierten Reihe in die vorderste. Die gleiche verhohlene Enttäuschung, die die meisten hatten, als nach etwa drei Stunden der Brand gelöscht war und nur mehr dünne helle Rauchwolken aus den verkohlten Dachstühlen aufzogen, teilte sich auch ihm mit. Es blieb über dem ausgebrannten Fabrikhof eine fröstelnde Stimmung liegen.
Herr von Raitzold stand noch dort, als es schon ganz leer geworden, die Brandwache zwischen die Fabrikgebäude verteilt war und die Spritzen zur Abfahrt bereit gemacht wurden. Er stand da, und sein verblichener Kavalleristenschnurrbart war in ständiger Bewegung, als spräche er mit sich selbst. Fräulein von Raitzold, die ihren Bruder während des Brandes überall und in wachsender Angst gesucht hatte, erblickte ihn erst in diesem Moment und näherte sich ihm. Die Gutspferde vor der Spritze drehten ihr die Köpfe zu, als sie vorüberging, und sie hielt sich einen Augenblick bei ihnen auf, prüfte den Sitz des schweren Geschirrs und klopfte ihnen die Hälse. Herr Profet, wiewohl ohne Hemdkragen, triefend aufgelöst und völlig schwarz, machte ihr eine tiefe Verbeugung. Er brachte eben den Bürgermeister zu seinem Auto, das etwas abseits wartete.
»Na, das ging ja noch gut«, sagte Doktor Ohmann.
»Ja, es hätte schlimmer sein können. Wenigstens ist keinem was passiert.«
»Versichert sind Sie auch.«
»Na, das muß man doch erst mit Prozeß aus den Leuten herausquetschen.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wie das Feuer entstanden ist? Ich meine – irgendeinen Verdacht – es war doch etwas Unruhe auf Ihrem Werk.«
»Was heißt hier Verdacht, Herr Bürgermeister? Man hat mir meine Leute aufgehetzt, das ist alles, da müßte ich alle
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