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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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so unfruchtbar, Liebe und Haß, und so unwiderruflich –«
    Elisabeth schob ihre Schulter ein wenig zurück, unmerklich. Sie mochte diese Art von Worten nicht: Liebe, Haß, Flucht. Das klang nach den Büchern, die der entgleiste Student Markus in Haufen las und die ihn hochtrabend, befremdend und auf diese undefinierbar jüdische Weise gescheit machten. »So schlimm ist das gar nicht«, sagte sie naiv. Indessen hatten seine Augen sich hinter den Brillengläsern etwas getrübt, denn er dachte: ›Wenn ich Ihnen woanders begegnet wäre, dann hätte etwas anderes mit uns werden können, Elisabeth. Unfruchtbare Liebe. Hier sind Sie die Frau des Herrn Doktor und ich der jüdische Kaufmann S. Markus' Nachfolger. Schluß. Punkt. Keine Pointe. Ungeschälter Reis als Huldigung. Unbezahlte Rechnungen als Dank. Sie wissen ja gar nichts, gar nichts wissen Sie von mir –‹ und er dachte wahrhaftig ganz ordentlich per ›Sie‹ und ›Frau Doktor‹.
    »Ich muß jetzt gehen. Das Rehle ist allein zu Hause«, sagte sie, blieb aber sitzen, denn sie war müde und unfähig zu einem Entschluß.
    »Einen Augenblick. Einen Augenblick«, sagte er hastig. »Lassen Sie mich erklären, was ich meine. Da ist – zum Beispiel das Fräulein beim Frisör. Kommt aus irgendeiner großen Stadt zu uns nach Lohwinckel, Gott weiß, was sie hierher verschlagen hat. Kann Großstadtkünste, Maniküren, Ondulieren, Haareschneiden. Sie ist geschminkt, gut, schön, nicht ungeduldig werden, Frau Doktor, hören Sie, was ich sagen will. Sie hat einen schlechten Ruf vom ersten Tag an, das Fräulein. Warum? Weil Sie Lippenpomade gebraucht? Weil man sie mit dem Sohn von Schlachter Seyfried sah? Wer kann ihr das verbieten, wer kann ihr's übelnehmen? Dann sieht man sie mit noch einem, mit mir, mit einem Herrn von der Post, was weiß ich? Nun? Es ist aus mit ihr. Verspielt, ein für allemal. Nie wieder wird sie ihren Ruf reparieren können. Nie wird sie hier einen Mann kriegen, nie wird sie etwas anderes tun können, als jeden Sonntag mit irgendeinem andern auszugehen und wochentags sich von der Herrenkundschaft merkwürdige Dinge sagen zu lassen – Prostitution in Lohwinckel, o ja. Woanders wäre das Fräulein ein nettes Mädel geblieben; hier bei uns – entschuldigen Sie, Frau Doktor, ich weiß, Sie hören so etwas nicht gern. Das ist das Katholische in Ihnen, das macht so gebunden –«
    ›Und das ist das Jüdische in Ihnen, daß Sie über alles reden‹ – dachte Elisabeth höchst schlagfertig, denn manchmal hatte sie solche Blitze. Sie sprach es aber nicht aus, weil sie das Wort ›Jüdisch‹ unter allen Umständen für eine Beleidigung hielt. »Besser gebunden als zersetzt«, sagte sie deshalb nur.
    Markus begann zu lachen, er hatte sie gut verstanden, nicht ohne einen scharfen Schmerz zu empfinden, eine Art Neuralgie, die er schon in den Kindertagen immer bekam, wenn seine Glaubenszugehörigkeit ihn isolierte.
    »Schön. Anderes Thema: die Politik. Rührt sich hier jemals etwas? Trotz aller Prügeleien vor den Wahlen, trotz aller Rempeleien im ›Anzeiger‹ und von der andern Seite im ›Schaffenburger Volksblatt‹: Geschieht jemals etwas? Läßt einer nur sich überzeugen? In Obanger ist man sozialistisch und in Lohwinckel konservativ. Herr von Raitzold möchte auf jeden Andersgesinnten schießen, und Herr Profet hält sich zur bürgerlichen Mitte und drückt dabei seine Arbeiter mit den Akkordlöhnen. Werden die Arbeiter jemals dagegen revoltieren? Keine Spur. Das ist so und ändert sich nicht. Man kriegt die Bleikrankheit – Ihr Onkel hat es immer vertuscht, Ihr Mann hat es aufgedeckt, hat den Gewerbeinspektor alarmiert, hat die Krankenkasse hochgenommen. Was resultiert daraus? Nichts. Die Bürger halten ihn für einen Sozialisten. Und die Arbeiter nennen ihn einen Schinder, weil er ihnen Milch und Luft verordnet statt Medizin. Wenn nicht die Lohwinckler Unbeweglichkeit wäre, hätte man schon einen andern Arzt hergeholt –«
    »Ja, davor habe ich immer Angst«, sagte Elisabeth schnell. »Das ist es gerade. Wenn nun Fräulein Ohmann heiratet und ihr Verlobter hier eine Praxis anfängt. Denken Sie nur – der Schwiegersohn des Bürgermeisters, und mein Mann ist gar nicht beliebt –«
    »Davor haben Sie Angst«, wiederholte Markus und hielt einen Augenblick ein. »Nein, es passiert ja nichts, hier passiert nichts. Feinde hat hier jeder, aber sie tun nichts, sie stören einem nur das Leben und Atmen. Feinde! Sehen Sie eine Feindschaft

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