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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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»Sie haben einen kleinen Schnitt, wir nähen das gleich nachher. Jetzt hört es auf zu bluten. So«, sagte er, als er mit Watte wieder vom Wagen zurückkam, auf dessen Kühler er den Inhalt seiner Tasche ausgebreitet hatte, und ein Pflaster auf die Wunde tat. »Jetzt hört es gleich auf.«
    Er hatte ein starkes Gefühl von sich selber, wie er da zwischen den Verletzten hantierte, alles überblickte, einteilte und richtig machte. Nur Elisabeth fehlte ihm, fehlte auf eine bohrende Weise. Sie assistierte recht gut, wenn es nötig war. Er schimpfte innerlich mit sich, daß er Elisabeth nicht mitgenommen hatte, und es war zugleich eine starke Ruhe in dem Gedanken, daß Elisabeth zu Hause war und alles in Bereitschaft hielt für sein Heimkommen mit einer Ladung invalider Menschen …
    »Danke …«, sagte Leore Lania, als unter dem Jod ihr Mund zu brennen begann, es war eine Höflichkeit, die ihr große Mühe machte. Daß dieses kleine Mädchen sich so gut hielt, erbitterte Persenthein plötzlich gegen das laute Jammern des jungen Boxers, den er in das Auto beordert hatte. Er ging rasch noch einmal zum Wagen, füllte seine Rekordspritze und versetzte dem Jungen eine Ladung von Eukodal in den Arm. »Jetzt ist hier Ruhe«, befahl er kurzerhand.
    Der Schofför Müller hatte verständigerweise das Licht im Wagen angemacht, und in seinem Schein betrachtete Persenthein kurz das ausgeblutete Gesicht des stillen Fobianke. »Na? Geht's gut?« fragte er munter.
    »Danke, ja. Bloß das Fenster – die Luft –«, antwortete der Mann mit seltsamer Heftigkeit, um gleich darauf in seine verwunderte Stummheit zurückzufallen. Er knöpfte seine Jacke auf und zu, mit immer lahmer werdenden Fingern, und er sah schwarze Fetzen vorbeitreiben, die ihn ängstigten.
    Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, seit der Doktor an der Unglücksstelle angekommen war. Alles ging sehr schnell, ganz ruhig und sicher nach außen, unterirdisch aber erfüllt von einer fast rauschhaften Erregung. Alles war naß unter dem gleichmäßigen Regenrauschen, kühl, alles glänzte von Wasser im Schein der Autolichter. Persenthein, Spritzen füllend, Spritzen in Alkohol waschend, Spritzen einstechend, hatte ein überwältigendes Gefühl von Helle in seinen Gedanken. Als wenn aus vielen Kanälen vergessene Erfahrungen ihm zuströmten, so daß alles ganz klar und zweifelsfrei und eindeutig wurde. Er war auf großartige Weise in seinem Element und sah auch wieder dem heiligen Georg ähnlich, obwohl niemand da war, um dies zu bemerken.
    Um so verwirrter benahmen sich die andern Helfer, und zwar hauptsächlich deshalb, weil die beiden feindlichen Herren bemüht waren, ihre Tätigkeitsgebiete scharf gegeneinander abzugrenzen. Herr von Raitzold, nachdem sein weinender Schützling eingeduselt war, hatte sich dem Auto im Graben zugewendet. Sein Kutscher und der Junge vom Gut machten sich daran, den Wagen aufzustellen, was nicht gelang. Herr von Raitzold stand mit gegrätschten Beinen in der Haltung des ehemaligen Offiziers dabei und gab kurze Kommandos aus; aber erst als der Schofför Müller sich dazugesellte, begann das Unternehmen einige Aussicht zu bekommen. Herr Profet hatte sich indessen wieder Peter Karbon genähert. Er war ein hilfsbereiter und ziemlich tatkräftiger Mensch, aber er vertrug es schlecht, Blut zu sehen. Es war ihm die ganze Zeit schon leise übel. Er traute sich nirgends hinzufassen; er hätte auch lieber nicht zu viel gesehen. Er kam sich sehr wichtig vor und zugleich sehr nebensächlich. Er wunderte sich, wie scharf und ruhig dieser Doktor alles anging, aber er konnte zugleich den Verdacht nicht los werden, daß alles, was getan wurde, falsch war.
    »Los, helfen Sie mir das Mädchen in Raitzolds Wagen tragen«, kommandierte Persenthein. »Ich kann vorher den Mann nicht richtig untersuchen.« Alles an diesem Satz ärgerte den Fabrikanten: daß er die Dame ein Mädchen nannte und den Herrn einen Mann und vor allem, daß die Dame in Raitzolds Wagen sollte. »Warum in den Wagen von Raitzold? Warum nicht in meinen Wagen?« fragte er aufsässig.
    »Weil wir schon den Schofför im Wagen haben«, antwortete Persenthein; er verschluckte die nähere Begründung: daß er das Mädchen nicht dabei haben wollte, falls der Schofför unterwegs starb; er nahm Leore hoch und trug die Leichte zu Raitzolds alter Kalesche mit dem aufgespannten Verdeck. Der Gutsbesitzer stand schon bereit, er selber schlug das Spritzleder zurück. »Selbstverständlich bringe ich

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