Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
die Dame zu uns aufs Gut«, sagte er laut und an die Adresse von Herrn Profet, der innerlich murrend abseits geblieben war.
    »Nicht aufs Gut; zum Angermannshaus. Ich muß noch etwas nähen. Fahren Sie schon los, wir holen Sie mit dem Auto ein«, sagte der Doktor.
    Herr von Raitzold richtete sich auf dem Rücksitz ein, der Kutscher nahm den Pferden die nassen Decken ab, Dampf stieg auf. »Sitzen Gnädigste gut?« fragte er und holte seine verschollen-weltmännischen Manieren hervor, die auf den Gutsäckern verlorengegangen waren. Die Schauspielerin, deren zerschnittenes Gesicht zu brennen begonnen hatte, spannte sich zu einer rührend tapferen Geste an.
    »Auf Wiedersehen –«, sagte sie und winkte aus dem Wagen, mit der routiniert-liebenswürdigen Bewegung des Filmstars. Sie hätte auch gelächelt, wenn da nicht in ihrem zerschnittenen, verpflasterten Gesicht etwas gewesen wäre, das am Lächeln hinderte. Der Wagen ruckte stoßend an, es tat höllisch weh.
    ›Das Gesicht zerschnitten. Geflickt von so irgendeinem Landdoktor, den man auf der Straße gefunden hat‹, dachte sie. ›Wenn er mich verpatzt – wenn mein Gesicht verdorben wird – wenn da etwas Wichtiges durchschnitten ist – es gibt solche Muskeln oder Nerven –, wenn da etwas geschehen ist, dann muß ich mich erschießen.‹ Sie dachte das tief innen, voll ungeheurer Angst, ganz stumm und erstickt, wie Leute an Selbstmord denken, denen es Ernst damit ist.
    Die ersten Radfahrer von Obanger, Lohwinckel und Düßwald waren angekommen, sie standen in einem dumpfen Kreis rund um die Unfallstelle herum, flüsterten und schauten. Immer neue kleine Lichter drangen auf der Chaussee heran und begegneten der Gutskalesche, die vorsichtig, aber dennoch auf harten Rädern stoßend ihren Weg durch den Regen nahm.
    »Jetzt komme ich endlich zu Ihnen«, sagte Doktor Persenthein zu Peter Karbon; er hatte mit dem ersten Blick erfaßt, daß dieser Kerl dauerhaft und hart war und warten konnte. Tatsächlich hatte Karbon sich inzwischen darangemacht, aufzustehen und war nun breitbeinig und etwas taumelnd auf die Füße gekommen. »Ich habe Zeit«, sagte er; »verarzten Sie erst die andern. Ist etwas Böses passiert?«
    »Nee – nicht hoffen –«, murmelte Persenthein. »Und Sie? Sie haben Nasenbluten bekommen?«
    »Ein bißchen –«, sagte Karbon entschuldigend.
    »Stellen Sie sich mal auf die Fußspitzen«, verlangte der Doktor.
    Karbon tat es gehorsam, kippte nach vorne und wurde aufgefangen. »Aha!« sagte Persenthein und kam mit der Tetanusspritze an.
    »Ich möchte kein Morphium. Bin dumm genug im Schädel«, sagte Karbon.
    »Das ist kein Morphium. Serum. Prophylaxe gegen Wundstarrkrampf«, brummte Persenthein und jagte schon den Stich in Karbons Arm. Er hatte aus den Kriegslazaretten eine übertriebene Angst vor Tetanus übrigbehalten.
    »Bin ich denn verwundet?« fragte Peter und sah an sich hinunter, was ihn in eine neue heftige Schwindelwelle hineinwarf. »Der Arm ist wohl gebrochen, aber ist sonst noch was los?« setzte er hinzu, nachdem Persenthein ihn wieder ins Gras gesetzt hatte.
    »Bißchen verkratzt im Gesicht und da an der Hand«, sagte Persenthein, der schon Drahtschienen bereitgelegt hatte. Aber er fand keinen Knochenbruch. Peter Karbon zischte Luft durch die Zähne, während allerlei schmerzhafte Prozeduren an ihm vorgenommen wurden. Er versuchte von sich fortzudenken, an die andern. »Was ist der Lania passiert?« fragte er, indessen Persenthein herausfand, daß nur das Schultergelenk ausgerenkt war.
    »Wem?« fragte er.
    »Der Lania, der Kleinen, der Schauspielerin«, sagte Karbon. Er besann sich erst hinterher, daß ›die Lania‹ hier im Hinterland möglicherweise kein so geläufiger Begriff war wie sonst in aller Welt.
    »Ach – die Dame ist Schauspielerin? Nein, gar nicht schlimm. Das Gesicht zerschnitten, hier, die Oberlippe durchtrennt. Wird gleich nachher geflickt. So, kommen Sie, Ihnen fehlt so gut wie nichts. Die Schulter renken wir zu Hause ein. Nur Ihr Schofför –«
    Der Doktor stemmte seine Schulter unter die gesunde Achsel von Peter Karbon, sie waren fast gleich groß, Persenthein breit und nicht ganz so lang, Peter höher, schmaler und steiler, aber schwer taumelnd – was ihn wütend machte.
    Der Doktor triefte jetzt von Regen, aber auch von Schweiß. Die letzte Viertelstunde war zu inhaltsreich gewesen. Die dunkle, halbrunde Mauer der Lohwinckler rückte ein wenig näher heran, als Persenthein seinen letzten

Weitere Kostenlose Bücher