Zwischenfall in Lohwinckel
eine Quälerei und Schinderei ist das ja, daß man Blut unter die Nägel kriegt, und nichts kommt dabei heraus. Ich lasse verfallen, ich lasse das Raitzold-Gut verfallen, meinen Sie? Aber Sie verstehen das ja nicht, Herr Ohmann. Sie mögen ein guter Jurist sein; was so ein Stück Erde, was so ein Weinberg für unsereinen ist, so ein Sonnentreppchen, das verstehen Sie eben nicht. Wenn ich es an so einen Profet abgeben wollte –«
»Herr Profet hat wahrscheinlich andere Absichten mit dem Besitz. Er ist der Mann, jedes Stückchen Grund lukrativ zu machen.«
»Lukrativ. Wie denn? Lukrativ – das sind so Worte. Lukrativ!«
»Er will seinen Betrieb vergrößern. Er will bauen. Er kann seine Fabrik nicht ewig in den alten Schuppen der ehemaligen Färberei halten, das ist richtig. Er hat einen Plan für einen Neubau, rückwärts an der Mauer.«
»Wie denn? An der Mauer? Was denn? Da fängt doch der Weinboden an!« fragte der Gutsbesitzer, er nahm die Zigarre aus dem Mund, der Mund blieb starr offen, die Unterlippe hing herunter vor der Unbegreiflichkeit des Gehörten. Der Bürgermeister zuckte die Achseln.
»Das ist doch nicht möglich!« schrie Raitzold und schlug auf den Tisch. »Das ist doch nicht möglich«, wiederholte er leise noch einmal, und nun wurde sein Zittern ganz offenkundig, und auch das Atmen machte ihm Schwierigkeiten.
»So, wie die Sache steht, wird sich nicht viel dagegen tun lassen, fürchte ich«, antwortete der Bürgermeister mit Behutsamkeit. »So, wie die Dinge liegen –«
»Herr Bürgermeister – Herr Doktor – Ohmann – Sie müssen das verhindern, Sie – Sie sind doch aus der Gegend, Sie verstehen doch, daß so etwas nicht möglich ist. Man kann doch nicht einem Größenwahnsinnigen erlauben, seine Schuppen in den Weinberg zu bauen – ein Weinberg – das ist doch ein Weinberg, Herr Doktor, das ist doch nicht – wenn ich mit geschlossenen Augen hundert Weine koste, da kenne ich doch das Sonnentreppchen heraus, da rieche ich doch die Erde, das ist ein Stück Erde, verstehen Sie das denn nicht, was soll ich Ihnen denn sagen? Wenn ich das gewollt hätte – ich hätte ja längst ein Vermögen aus dem Gut herausschlagen können. Profet hat mir Angebote gemacht, jahrelang, ich habe nein gesagt, und nein und nein – wie ist das möglich? Jetzt soll der Mann den Boden plötzlich in die Hand bekommen für nichts? Für einen Pappenstiel von zweihundertfünfzigtausend Mark? So weit hat er das geschoben? Dahin hat er es mit allen seinen Manövern gebracht –?«
»Soviel ich weiß, hat sich Profet durchaus nicht leicht entschlossen, diese Summe dranzuhängen. Er hat kein kleines Risiko dabei – wenn Sie es auch einen Pappenstiel nennen. Profet hat auch seine Sorgen, in der Fabrik läuft auch nicht alles, wie es soll«, sagte der Bürgermeister, mit dem Blick auf den alten Jagdstich, der einen gestellten Hirsch mit sonderbar barocken Muskelüberladungen im Mittelpunkt hatte. Das unbehagliche Gefühl bemächtigte sich seiner, einer Sache das Wort zu führen, die ihm innerlich gegen den Strich ging. Er brach ab, denn er hörte den Gutsbesitzer um Atem kämpfen, und das erschütterte und ängstigte ihn auf eine sonderbare Weise. Als Raitzold indessen wieder zu sprechen anfing, machte er einen ruhigeren Eindruck als kurz zuvor. »Sie haben, Herr Bürgermeister, die Freundlichkeit gehabt, selber zu mir herauszukommen«, sagte er gehalten; »ich kann mir nicht denken, daß Sie das nur tun, um Herrn Profet hier das Wort zu reden.«
»Ich bin rasch herausgefahren, Herr von Raitzold, weil Ihr Brief so – wie soll ich es ausdrücken – so etwas Drohendes hatte. Ich wollte Sie beruhigen.«
Dazu lächelte Raitzold nur, ein wegwerfendes Lächeln, das hochmütig und sinnlos unter seinem Schnurrbart stehen blieb. Er ging zu dem alten Stehpult hinüber, an dem er den ganzen Nachmittag gearbeitet hatte, und klopfte auf die Papierblätter, die lose aufgeschichtet dort herumlagen. »Ich habe angefangen, ein Exposé auszuarbeiten«, sagte er. »Ich werde es Ihnen übermorgen geben können oder schon morgen. Ich mache der Stadt den Vorschlag, das Gut zu übernehmen, eine städtische Domäne draus zu machen und mich als Pächter auf dem Gut zu lassen. Ich wäre bereit, unter bestimmten Bedingungen, die ich hier berechnen und ausführen werde, der Stadt das Gut zu überlassen und es in Pacht zu übernehmen. Ich bin überzeugt, daß der Magistrat –«
So vernünftig dies klang, ein so
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