Zwischenfall in Lohwinckel
verschleiern suchte.
Indessen hatte der Hausknecht die beiden Bogenlampen vor dem Eingang angeknipst, die sogleich von den letzten, dickköpfigen Nachtschmetterlingen dieses seltsam warmen Oktoberabends angeflogen wurden, und Frau Oertchen verabreichte im Extrazimmer Freibier an die zwei Polizeileute, die mit dem Zug aus Schaffenburg gekommen und zum Schutz ihres Lokals kommandiert waren. Zwei andere patrouillierten in der Stadt, und zwei umkreisten die Fabrik, sie waren von den Arbeitern gesehen und ohne Wohlwollen begrüßt worden, und ihre Anwesenheit im Ort gab der allgemeinen Laune eine unklare Geladenheit.
Den ersten Krach setzte es, noch bevor im Saal drinnen der Hochzeitsmarsch zu Ende war, vorne am Kasseneingang. Obwohl nämlich auf dem Plakat groß und deutlich der Vermerk ›Für Jugendliche verboten‹ stand und obwohl der Kinobesuch außerdem und ein für allemal der Schülerschaft des Gymnasiums durch Putex untersagt war, fanden sich zwanzig oder dreißig Gymnasiasten ein und verlangten Karten. Sie hatten zu diesem Zweck ihre Erwachsensten vorgeschickt, bewährte Sitzenbleiber, die mit dem Stimmwechsel fertig waren und mit rüder Miene erklären konnten, daß sie längst achtzehn vorbei seien. Die andern hatten sich – nicht ohne Plan – zu kleinen Gruppen zusammengetan, in deren Mitte die Kleinen und allzu offenkundig Minderjährigen verdeckt gehalten wurden. Sie alle befanden sich schon in einer Art Betrunkenheit, als sie anrückten, denn sie hatten allerhand hinter sich an diesem Tag, und sie waren seit der geheimen Versammlung am Ententümpel nicht zur Ruhe gekommen. Zunächst nämlich hatte die Versammlung einmütig beschlossen, dem Befehl zum Nachsitzen nicht und unter keinen Umständen nachzukommen; sodann waren sie in zwei Parteien zerfallen, von denen die eine für ein einfaches stillschweigendes Schwänzen und Wegbleiben stimmte, während die andere mannhaftes Eintreten und offen ausgesprochene Revolte gegen Putex' Tyrannei verlangte. Es war zu einer mächtigen Keilerei gekommen, an deren Ende die Mannhaften Oberwasser behielten mit dem Resultat, daß am Nachmittag der ältere Junge Profet, der Primaner Gürzle – stärkster Mann der Anstalt – und Putex' eigener Pensionär Kolk vor den Direktor getreten waren und kundgetan hatten, daß die Schüler sich weigerten, an diesem ihrem vorschriftsmäßig freizuhaltenden Spieltag nachzusitzen. Worauf sie stramm die Dienstwohnung des Direktors, an dem geknickten Quittenbäumchen vorbei, verließen, den atemlos gewordenen Pädagogen seinem Entsetzen überlassend.
Hierauf waren sie in hellen Scharen nach dem Priel zu Profets Villa gezogen und hatten Franz Albert abgeholt, der den Profetschen Buben heilig versprochen hatte, dem Faustballspiel zuzuschauen. Das tat er denn auch, nicht ohne Vergnügen und Anteilnahme, denn alles in allem war er nicht viel älter als der lange Gürzle, und er fühlte sich im gleichen Augenblick zu Hause, als er die kurze Grasnarbe der Spielfläche und den körnigen Aschengrund der Laufbahn unter seinen Füßen spürte. Das Spiel verlief großartig, und nachher hatte keiner der verschwitzten Jungen Lust, nach Hause zu gehen, auch Franz Albert nicht. Er tobte mit ihnen weiter, bis in die Dämmerung hinein, machte einen kleinen Hundert-Meter-Lauf mit, verlor in der schlechten Zeit von 14,8 Sekunden, denn er war auf Ausdauer, aber nicht auf Schnelligkeit trainiert und litt seit seinem Aufenthalt in der Villa Profet an einem schweren und überfressenen Gefühl. Die Buben quittierten die Überlegenheit ihres langbeinigen Gürzle (12,7) über den Meister mit einem geradezu rasenden Geschrei, wurden aber totenstill, als Franz Albert ihnen erst ein paar seiner Trainingsübungen vorführte und ihnen dann noch demonstrierte, wie der linke Uppercut ausgesehen habe, mit dem er sich den Titel geholt hatte. Sie fühlten das deutliche Bedürfnis, sich als Männer zu erweisen; und vor dem Papiergeschäft der Witwe Seelig, angesichts der Fotografien der Leore Lania reifte ihr Entschluß, das Kino zu besuchen. Sie waren fast gesprengt von Angriffslust, als sie vor Oertchens Saal anlangten, ihre mageren Rippen spannten sich wie bei jungen Tieren, und ihre Bubenkörper dampften geradezu. Gott weiß, wie sie die Fünfzig-Pfennig-Stücke aufgetrieben hatten, die sie in ihren verschwitzten Händen herumdrückten, aber da standen sie nun und wollten bezahlen, zum Donnerwetter, und hineingelassen werden.
Erst gab es Gelächter, dann
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