Zwischenfall in Lohwinckel
war ein heilloses Gewühl, und alle wollten dabei sein. Die ersten Plätze, von der Saalmitte ab rückwärts, bestanden aus Stuhlreihen, und der Hausknecht kam denn auch und verstopfte noch die letzten Durchgänge mit herbeigeschleppten Eisenstühlen aus dem Wirtshausgarten. Für die zweiten Plätze hatte man lange, lehnenlose Bänke aufgestellt. »Schiebt euch e bißchen zsamme, Kinner«, sagte Herr Oertchen zu den Leuten aus Obanger, »un macht e bißche Platz für anner Leut.«
Dies aber, obwohl freundwillig und im versöhnlichsten Dialekt vorgetragen, mißfiel. Es war ein winziger Anlaß, auf den die zweiten Plätze mit unverhältnismäßig heftiger Ablehnung antworteten. Ein paar standen auf und gestikulierten, einige murrten, einige riefen laut und einige trampelten wieder, es gab einen kleinen Aufstand, der erst abebbte, als Herr Oertchen sich zurückzog; und in das Stillerwerden hinein, das von der Barcarole aus ›Hoffmanns Erzählungen‹ begleitet wurde, hörte man grade noch den Betriebsratsobmann Birkner sagen: »Sag dene annere Leut, sie könne uns …«
»Was haben die Leute?« fragte die Bürgermeisterin ihren Mann, der die Brauen gerunzelt hatte. »Sie machen nur Spaß«, antwortete er und setzte das liebenswürdige Gesicht auf.
»Da ist ja die Frau vom Doktor«, sagte die Bürgermeisterin. »Mitten zwischen den Arbeitern. Und ohne den Mann. Ist das Herr Karbon, den sie bei sich hat? Findest du das nicht – wie soll ich sagen –«
»Da ist Karbon. Karbon!« rief Franz Albert unten, stand auf und winkte; er fühlte sich bodenlos verlassen mit der ewig vibrierenden und vielsagenden Frau Profet an seiner Seite. Er rief und winkte: »Komm doch zu uns, Karbon!« Peter Karbon schaute sich um, zuckte die Achseln und lachte dem Boxer vergnügt zu. Tatsächlich saß er mit Elisabeth auf dem zweiten Platz, vorn in der dritten Bankreihe, und so eingeklemmt, daß an ein Herauskommen nicht zu denken war. Er war unsinnig vergnügt, er hatte eine so blödsinnige Unternehmung wie diese da seit vielen Jahren nicht mitgemacht. Elisabeth neben ihm zitterte ganz zart und warm an seiner Schulter, so fein, daß er es mehr ahnte als spürte; so wie Baumstämme im Frühling von innen her zittern; Karbon, der Jäger, kannte das vom Schnepfenstrich her, wie treibende Bäume zittern, wenn man, an sie gelehnt, in die Dämmerung hineinwartet.
Frau Persenthein hatte das einzige gute Kleid angezogen, das sie besaß, das dunkelblaue nämlich, allerdings mit einer neuen Kragengarnitur und einer hübschen alten Gemmenbrosche von Großmutter Burhenne; ein mißglückter und eiliger Manikürversuch hatte winzige blutige Stellen an ihren Nagelrändern zurückgelassen, die sie von Zeit zu Zeit mit der Zungenspitze bearbeitete. Im übrigen fieberte die ganze Frau durch und durch auf eine bittersüße Art, denn was sie in die Kinovorstellung getrieben hatte, war nichts anderes als Eifersucht. Sie wollte sehen, das war es, sie hatte einen unbeschreiblich zerrenden Hunger danach, diese Leore Lania zu sehen, stundenlang, sie zu beobachten, während Peter Karbon neben ihr saß und es ganz den Anschein hatte, als wäre sie, Frau Doktor Elisabeth Persenthein, sein Eigentum und er das ihre. Ein kurzes Gespräch auf dem Waldweg, als sie ihm zum Gut entgegengegangen war, hatte sie mit glücklicher Verwirrung und kaltem Schrecken zugleich erfüllt.
»Wie geht es Ihrer Freundin?« hatte sie gefragt.
»Danke. Es ist ganz glatt gegangen.«
»Sind die Fäden heraus?«
»Die Fäden – jawohl. Ich habe mich von ihr getrennt.«
»Sie – wieso – warum –?«
»Deinetwegen natürlich.«
Das war eine Antwort, die wie eine heiße Kugel scharf gegen Elisabeths Herz gestoßen war. Sie sagte immer ›Sie‹ zu Peter. Er sagte immer ›Du‹ zu ihr; das gab ihren Gesprächen einen sonderbar atemlosen Rhythmus. Sie hatte ziemlich lange an dieser Antwort zu arbeiten gehabt, an den weißen Meilensteinen der Straße vorbei.
»Geht das bei Ihnen so einfach, sich zu trennen?« hatte sie schließlich fragen müssen und die beiläufige Antwort erhalten: »Wir wollen nicht generalisieren, Elisabeth.«
Am Straßenrand standen wilde Buchweizenrispen mit ihren zähen Stengeln und graurosa Blüten; Elisabeth sagte gar nichts mehr und spielte stumm mit ihnen, während Peter Karbon seinen Arm unter ihren Ellenbogen schob, als wenn es das Selbstverständlichste von der Welt sei, daß eine verheiratete Frau mit einem fremden Mann untergefaßt im Wald
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