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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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selbst als gläubig bezeichnete, seinen Glauben in den Rang von Wissen erheben konnte. Dass ein Gott über uns wachte, der Mann und Frau, die großen und kleinen Tiere mitsamt der Heerschar von Bakterien und Geziefer und das ganze geniale Gefüge der Welt erschaffen hatte, das glaubte der Gläubige nicht, das wusste er, während ich, wenn ich auf der Wiese lag und in den Himmel sah, mich in den nächsten, übernächsten und überübernächsten Himmel vordachte, bis mir übel wurde von der unendlichen Tiefe und meiner Winzigkeit, während ich dann, um im Strudel all der Unbegreiflichkeiten nicht zu versinken, Rettung suchen musste im Beobachten irgendeines kleinen Getiers, hunderttausendmal kleiner als ich, das sich an einem wankenden Grashalm empor zur Himmelsbläue hangelte.
    Olga hat ihr Leben als Bahai entweder eher heimlich praktiziert, oder sie hat die Ge- und Verbote den gegebenen Umständen angepasst. Sie trank ein Glas Wein, wenn alle tranken, sie betete nie, wenn andere es hätten bemerken können, sie fastete nicht. Ihr Bahai-Sein kann sich eigentlich nur auf die zwölf ethischen Grundsätze der Bahai bezogen haben, die, würden alle Menschen sie befolgen, die Harmonie zwischen allen Religionen und Nationen, zwischen Glauben und Wissenschaft, Männern und Frauen garantieren könnten.
    Ein paar Enten ließen sich verträumt auf dem gemächlich fließenden Wasser treiben.
    Schade, dass wir kein Brot dabeihaben, sagte Olga.
    Bist du jetzt eigentlich immer noch eine Bahai?, fragte ich.
    Ich weiß nicht, sagte Olga, wenn es nach den Bahai ginge, müsste das jetzt wohl gleichgültig sein. Aber seit wann interessierst du dich für Religion?
    Nur notgedrungen, sagte ich. Die Religion mache sich in den letzten Jahren sogar für Atheisten spürbar wieder breit, und wie sich die Dinge entwickelten, sei es schließlich denkbar, dass in absehbarer Zeit die eigene Lebensform sich nur verteidigen lasse, wenn man sie religiös begründen könne. Dann sei es nicht nur vorteilhaft, sondern sogar unbedingt erforderlich, dass man sich selbst auf eine Religion berufen könne, Gott gegen Gott sozusagen. Und ich hätte schon überlegt, ob ich, sollte ich eines Tages ohne Religion nicht mehr auskommen, nicht auch eine Bahai werden sollte.
    Olga sah mich lange aus ihren immer noch sanft glänzenden Augen an. Das wäre schade, sagte sie und verschwand.
    Ich blieb noch eine Weile auf der Brücke stehen, sah den Enten zu, die inzwischen auf Nahrungssuche über die Böschung watschelten, und dachte darüber nach, wie Olga ihr Bedauern gemeint hatte; ob es zum Schaden der Bahai wäre, von ungläubigen Mitgliedern wie mir, die zudem gern Wein tranken und auch nicht fasten wollten, unterwandert zu werden, oder ob es schade um mich wäre, wenn ich aus so profanen Gründen einer Religion beitreten müsste.
    Ein laut streitendes Paar näherte sich der Brücke. Eine Frau zog ihren hinfälligen Mann hinter sich her und stieß dabei unablässig derbe Verwünschungen aus, wobei ich nicht herausfinden konnte, ob die ihrem Mann oder den allgemeinen Umständen galten. Ich ging weiter, ehe sie die Brücke erreicht hatten, lief ein Stück quer über eine große Wiese und suchte mir einen Platz unter einer alten Birke, deren hängende Zweige mich wie ein Vorhang halb verdeckten. Das zeternde Paar blieb unschlüssig auf dem breiten Weg am Rand der Wiese stehen und konnte sich offenbar nicht einigen, welche Richtung es nun einschlagen wollte. Die Frau, deren Haar, wenn meine unzuverlässigen Augen mich nicht täuschten, eine leuchtend silberblaue Farbe hatte, zeigte in die Richtung, aus der ich anfangs gekommen war, während der Mann dahin zog, wo ich den Friedhof vermutete, am Ende taperte er seiner Frau hinterher. Die Stimmen der beiden kamen mir irgendwie bekannt vor, aber mir fiel nicht ein, wem ich sie hätte zuordnen können. Ich zündete mir eine Zigarette an, unzählige kleine, grüne Herzen pendelten an dürren Zweigen vor meinen Augen und milderten das grelle Sonnenlicht, ein warmer Wind streichelte mein Gesicht. Was für ein Tag, dachte ich, was für ein unglaublicher Tag. Ich lehnte meinen Kopf gegen den Baum und dämmerte halb schlafend vor mich hin. Ich wusste nicht, wie lange ich so gesessen hatte, als ich Blicke auf mir spürte und ein heißer Atem meine Hand streifte. Ich öffnete die Augen und sah vor mir einen großen, honigfarbenen Hund, der gerade meine Schuhe beschnüffelte. Ich sagte etwas wie na du oder wo kommst du denn her, und

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