Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Beschaffung eines Pferdeschwanzhaars.
Du heißt jetzt Nicki, sagte ich zu dem Hund, wiederholte noch dreimal den Namen, entfernte mich ein paar Schritte und rief ihn dann: Nicki. Er sprang auf, wedelte mit dem Schwanz und kam mir nach.
Aus einem hinteren, von unserer Position nicht einsehbaren Teil des Parks wehten Fetzen undefinierbarer Geräusche herüber, Gesang oder Geheul, vielleicht auch verzerrte Stimmen aus einem Radio. Der Park mit seinen rätselhaften Erscheinungen hatte mich derart in seinen Bann gezogen, dass ich nicht auf die Idee kam, ihn zu verlassen, zumal die Gesellschaft des Hundes meinem einsamen Umherstreifen nun einen gewissen Sinn verlieh. Da ich sonst kein Ziel hatte, folgte ich den seltsamen Tönen, die jetzt gerade wie ein zittriges Jaulen klangen. Nicki lief dicht neben mir. Wir überquerten die Wiese in Richtung eines dichten Gesträuchs, durch das ein vom Hauptweg abzweigender Pfad in die Tiefe des Parks zu führen schien. Noch ehe wir den breiten, die Wiese einschließenden Weg erreicht hatten, tauchte plötzlich wie aus dem Nichts das Paar mit der blauhaarigen Frau wieder auf. Die Frau hatte den Mann am Handgelenk gepackt und zog ihn energisch hinter sich her. Ihre Frisur war zerzaust, die Kleidung verrutscht. Überhaupt wirkten die beiden gehetzt, als würden sie gejagt und suchten verzweifelt ein rettendes Tor, hinter dem sie Zuflucht finden könnten. Sie blickten sich hastig nach allen Seiten um, fanden ein junges Paar auf einer Parkbank, das gerade Luft holte zwischen zwei Küssen. Die Frau sprach auf das Mädchen ein, begleitete ihr Reden mit fahrig herrischen Gesten, während ihr Mann an den Manschetten seines weißen Hemdes herumzupfte. Die Antwort des Mädchens schien sie nicht zu befriedigen. Ohne sich nach ihrem Mann umzusehen, lief sie weiter, direkt auf mich zu. Das Paar auf der Bank rief ihr etwas nach, was ich nicht verstand, das Mädchen lachte böse. Der junge Mann schwang drohend eine Faust.
Halt, rief die Blauhaarige in meine Richtung, bleiben Sie stehen.
Sie meinte mich. Nicki gab ein kleines dunkles Grollen von sich und hob kampfbereit den Schwanz. Als die Frau sich mir bis auf wenige Schritte genähert hatte, glaubte ich, obwohl ich ihr Gesicht und ihre Gestalt genau erkennen konnte, an eine neuerliche optische Täuschung. Es war mir peinlich, dass ich ein kurzes ungehöriges Lachen nicht unterdrücken konnte.
Mein Gott, Sie sehen aus wie …
Sie unterbrach mich schroff: Ich sehe nicht aus wie, ich bin Margot Honecker, und das ist Erich, sagte sie und wies mit dem Daumen hinter sich, wo ihr Mann keuchend und die Hand am Herzen langsam auf uns zukam. Er sah wirklich aus wie Erich.
Aber sind Sie nicht in Chile, fragte ich, und ist er nicht tot?
Das hätten Sie wohl gern, sagte sie, nur weil der konterrevolutionäre Mob durch die Straßen tobt. Wir haben schon Schlimmeres überstanden, Erich und ich.
Aber was machen Sie in diesem Park?
Inzwischen war auch Erich angekommen und ließ sich seufzend, das Herz immer noch mit der Hand umkrampfend, in das Gras fallen.
Was für eine dumme Frage, sagte Margot, beugte sich zu ihrem Mann und tupfte ihm den Schweiß von der Stirn, erst einen todkranken Mann aus dem Haus jagen und dann fragen, warum wir obdachlos durch den Park irren.
Das war doch vor zwanzig Jahren, wollte ich sagen, schwieg aber lieber, weil ich schon ahnte, dass in diesem Park nicht nur die Toten wie Lebende herumstolzierten, sondern auch die Zeit ablief, wie sie wollte.
Nicki hatte sich neben Erich auf die Wiese gelegt und sah ihn aus seinen blauen Augen an. Erich, zu schwach oder zu ängstlich, einfach aufzustehen und sich Nickis durchdringendem Menschenblick zu entziehen, zischte: Warum guckt der so?
Er hat blaue Augen, sagte ich.
Ich habe auch blaue Augen, sagte Erich.
Das ist normal, oder sind Sie ein Hund?
Margot stemmte die Fäuste in die Taille. Wollen Sie Erich Honecker beleidigen, einen Kämpfer für die Befreiung der Menschheit vom imperialistischen Joch, von den Nazis verfolgt und eingekerkert!
Es war klar, sie verstanden beide nichts von Hunden. Ich sagte, ich hätte niemanden beleidigen wollen, würde aber gern wissen, warum ich eigentlich stehen bleiben sollte.
Haben Sie eine Wohnung für uns? Oder ein Zimmer?
Das sollte wohl eine Bitte sein, klang aber eher wie die Frage bei einem Verhör.
Jetzt mäßigen Sie mal Ihren Ton, sagte ich, und überhaupt hören Sie mir mal zu. Es ist alles längst passiert, schon vor zwanzig
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