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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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nächtlichen Regen reingewaschenen Frühlingsluft einsog und sich unter mein gerade noch empfundenes Glück die Frage mischte, wie oft ich wohl einen Frühling noch erleben würde. Und als ich mir kürzlich einen neuen Kühlschrank kaufen musste, war mir eingefallen, dass es vielleicht der letzte Kühlschrank in meinem Leben sein könnte. Eigentlich fühlte ich mich gesund, und bis zum durchschnittlichen Sterbealter der weiblichen Bevölkerung blieben mir noch mehr als zwanzig Jahre. Trotzdem verging kaum ein Tag, an dem ich nicht für ein paar Sekunden an mein vorhersehbares Wegsein denken musste. Es war nicht das Sterben an sich, auch nicht der Abschied von den Menschen, die ich liebte, sondern nur dieses Wegsein, mein Wegsein, das mir so unverständlich blieb wie die Unendlichkeit des Weltalls oder der Urknall, der ja sofort die Frage aufwarf, was vor dem Urknall passiert war, damit er überhaupt zustande kommen konnte. Dabei kam mir der Tod anderer Menschen, sogar der meiner Mutter, durchaus natürlich vor. Menschen wurden geboren, und wenn sie alt oder krank waren, starben sie. Milliarden Menschen waren zuerst da und dann weg. Aber es gelang mir nicht, mich in diese Natürlichkeit einzureihen. Mein eigener Tod blieb für mich eine absolut unvorstellbare, wenn auch mit Sicherheit zu erwartende Angelegenheit. Ich konnte mich auch nicht mit dem Gedanken trösten, dass es nach dem Sterben eigentlich nicht schlimmer sein konnte als vor dem Geborenwerden, womit ich ja keine schlechte Erinnerung verband, aber die Kränkung lag eben im Wegsein, während alles andere, die Stadt, die Straße, das Haus, der Stuhl, die Bilder, das Bett, noch da sein würde. In solchen Augenblicken wäre ich gern religiös gewesen und beneidete alle Menschen, die ernsthaft an einen Gott und ihr Weiterleben nach dem Tod glaubten, obwohl ich nicht verstand, wie ihnen das gelingen konnte.
    Als ich jung war, hing ich weniger am Leben und war damit wohl keine Ausnahme. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum wir in einer Zeit, nach der sich die meisten später als der schönsten zurücksehnen, so enttäuscht vom Leben sind, dass wir schon wegen einer unerwiderten Liebe in Erwägung ziehen, auf den ganzen Rest zu verzichten; und warum wir dreißig oder vierzig Jahre später, wenn die Leidenschaften erlahmt und die Lieben entzaubert sind, wenn die Bilanz der Niederlagen und Erfolge fast abgeschlossen ist und Krankheiten und drohendes Siechtum die verbleibende Zeit schon verdüstern, warum wir dann so verbissen um jeden Tag kämpfen, martialische Operationen und Therapien erdulden, Gliedmaßen amputieren lassen, uns füttern und windeln lassen, nur um noch einmal den Frühlingswind auf der trockenen Haut zu spüren, wenn er durch das offene Fenster bis an unser Krankenlager weht.
    Vielleicht sind unsere frühen Erwartungen angemessen, unser Widerwillen berechtigt, die sogenannte Lebenswirklichkeit tatsächlich eine Zumutung, und wir hätten allen Grund, die vorhersehbaren Strapazen und Enttäuschungen auszuschlagen und nach angemessener Probezeit dem Leben wieder zu kündigen. Und nur unser biologischer Auftrag zur Arterhaltung hindert uns an der Konsequenz.
    Als ich sehr jung war, gerade kein Kind mehr, war der Gedanke an den Tod jedenfalls verführerisch. Ich fuhr jeden Tag mit der U-Bahn zur Schule, und eine Zeit lang gehörte es zu meinem täglichen Ritual, die Fußspitzen über die Bahnsteigkante zu schieben und so, gleich neben dem Tunneleingang, auf den Zug zu warten. Erst wenn der Luftstoß, den die Bahn vor sich herschob, mir gegen den Kopf schlug, trat ich einen Schritt zurück. Der Tod war mein stärkster Verbündeter gegen die Schule, den Sekretär, vor allem gegen meine Mutter, die für die Anwesenheit des Sekretärs in unserer Wohnung verantwortlich war und die, hoffte ich, weil sie mich liebte, die Härte meiner Strafe, vorausgesetzt ich würde eines Tages versehentlich den Schritt zurück nicht schaffen, niederschmettern müsste. Es ging bei dem Spiel nicht um den Tod, es ging um den Protest, aber der Tod als Einsatz, also mein ganzes Leben, muss mir wohl nicht zu hoch erschienen sein.
    Und später? Erlahmt unser Widerstand? Verschiebt sich das Maß, und wir nehmen, was gerade noch als Zumutung empfunden wurde, als eine Aufgabe an, die Leidenschaften weckt, Ehrgeiz, Neugier, Liebe? Seit Fanny geboren war, fürchtete ich den Tod. Ich erinnerte mich an eine Autofahrt ins Erzgebirge, die ich im Auftrag des Museums unternehmen musste,

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