Zwischenspiel: Roman (German Edition)
hielt ihm meine Hand entgegen, ohne ihn zu berühren. Er lenkte seine Aufmerksamkeit von den Schuhen auf die Hand, beroch sie ausgiebig und beendete den Vorgang, indem er mit der Zungenspitze zweimal kurz über meinen Handrücken fuhr. Dann setzte er sich hin und sah mich an. Er saß ganz still, und allmählich floss mir aus den flirrenden Partikeln ein deutliches Bild zusammen. Der Hund hatte hochstehende Ohren, deren Spitzen nach innen abknickten, eine nicht sehr lange, bärtige, in einer rosafarbenen Nase endende Schnauze, vor allem aber hatte er eisblaue Augen, die aussahen, als hätte man sie aus einem Menschengesicht in diesen Hundekopf verpflanzt, und aus denen er mich aufmerksam und erwartungsvoll fixierte. Solche Augen hatte ich bis dahin nur bei Huskys gesehen und meistens den Blick schnell abgewendet, weil etwas ganz und gar Unheimliches in diesen menschlichen Hundeaugen lag, das an verwunschene Prinzen, Werwölfe und Wiedergeburt, auf jeden Fall aber an eine verstörende Verwandtschaft zwischen Mensch und Hund denken ließ. Ich setzte mich auf und strich ihm mit der flachen Hand vorsichtig über Nacken und Rücken. Sein Fell fühlte sich rau und staubig an, ein zerschlissenes Lederband ohne Steuermarke oder sonstigen Hinweis auf seine Herkunft hing ihm um den Hals. Ich redete auf ihn ein, ob er zu niemandem gehöre und wie er heiße, ob er Hunger habe oder Durst, und dachte dabei, wie blödsinnig die Angewohnheit der Menschen war, mit Tieren zu sprechen, sie obendrein zu befragen, wohl wissend, dass sie keine Antwort erwarten konnten. Trotzdem schien dem Hund mein Gerede zu gefallen. Er rückte ein Stück näher und lehnte seine Stirn gegen meine Schulter, was ich als Aufforderung verstand, ihn hinter den Ohren zu kraulen. Als Kind hatte ich einen Hund, Nicki, einen schwarzbraunen Mischlingsrüden, den meine Mutter einem Kollegen abgenommen hatte, weil der die nicht vermittelbare, unstandesgemäße Brut seiner Rassehündin ersäufen wollte. Ich war neun Jahre alt, als sie zu Beginn der Sommerferien das kleine tapsige Knäuel auf den Teppich in unserem Wohnzimmer setzte und sagte: Wenn du ihn haben willst, musst du auch für ihn sorgen. Wir blieben den ganzen Sommer in Berlin und sahen dem Hund beim Wachsen zu. Nach den Ferien blieb der Hund tagsüber bei Frau Mehlhorn aus der dritten Etage, die auch auf mich aufpasste, weil ich mich schon nach der ersten Klasse geweigert hatte, die Nachmittage im Schulhort zu verbringen. Ich ging ohne den Hund nirgends mehr hin, sogar zu den Pioniernachmittagen nahm ich ihn mit. Er wurde zum Glück nicht größer als sein Vater, ein Terrier, obwohl seine Mutter eine Schäferhündin war. Eigentlich war der Satz, ich hätte als Kind einen Hund gehabt, falsch, jedenfalls nicht richtig. Für Kinder sind Tiere nicht nur Tiere; sie sind, wie die Kinder, keine Erwachsenen und sind den Erwachsenen ausgeliefert wie Kinder. Sie werden versorgt, aus dem Zimmer geschickt, sie sollen gehorchen und nicht stören, wenn Erwachsene beschäftigt sind oder gerade miteinander sprechen. Nicki war nicht nur mein Hund, er war mein Vertrauter, mein Freund, mein kleiner Bruder, bis meine Mutter drei Jahre nach dem Hund den Sekretär in unsere Wohnung brachte. Nicki hasste den Sekretär, wahrscheinlich weil ich ihn hasste. Nach einigen Monaten behauptete der Sekretär, er leide, seit er bei uns wohne, unter permanentem Schnupfen und Kopfschmerzen, was auf eine Tierhaarallergie schließen lasse, die er sich kurz darauf von einem Arzt bescheinigen ließ. Als ich eines Tages aus der Schule kam, war Nicki nicht mehr da. Er sei plötzlich krank geworden, behauptete meine Mutter, Krämpfe, Erbrechen, Fieber, sie hätten ihn in die Tierklinik bringen müssen, wo er einige Tage später angeblich starb. Ich habe weder an Nickis Krankheit noch an die Allergie des Sekretärs geglaubt. Der Sekretär hatte, davon war ich überzeugt, Angst vor Hunden, sogar vor einem so kleinen Hund wie Nicki, womit sich zu meinem Hass noch Verachtung gesellte. Ich dachte daran, den Sekretär zu töten. Irgendwo hatte ich gehört, dass man im alten China Menschen umgebracht hatte, indem man gekochte Reiskörner auf das Schwanzhaar eines Pferdes zog, die Reiskörner anschließend auseinanderschnitt und sie dem Opfer unter das Essen mischte, damit die winzigen Borsten des Schwanzhaares sich in dessen Magen- und Darmwände bohren und ihm einen qualvollen Tod bereiten würden. Meine Mordpläne scheiterten allerdings schon an der
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