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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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und Stieftochter Fanny und einfach die Grenze passieren. Trotzdem nagte an mir diese Wut. Sie hatten uns vertrieben, aus unserem eigenen Leben, aus unserer Kindheit, unserer Jugend, aus allem, was wir bis dahin geliebt hatten. Ich hielt die weinende Fanny im Arm und hätte selbst am liebsten geheult. Hendrik und der Lektor sprachen über Pressetermine, ein Fernsehinterview sei schon für den nächsten Tag geplant und eine längere Lesereise im kommenden Monat. Später lud uns der Lektor zum Essen bei einem Italiener ein. Hendriks Zukunft sehe er sehr optimistisch, sagte er. Wir tranken Soave, wahrscheinlich hat mir nur wegen dieses Abends der Soave später nie geschmeckt. Hendrik versprach Fanny ein neues Fahrrad und ein großes eigenes Zimmer in einer riesengroßen Wohnung. Er hielt sein Versprechen, Fanny fand schnell eine neue Freundin, die sogar auch Franziska hieß, und ich nach einigen Monaten eine Arbeit beim museumspädagogischen Dienst. Wir trafen alte Freunde wieder, die vor uns den Schritt über die Grenze gewagt hatten. Hendrik legte Mappen an, in denen er Rezensionen, Interviews und sogar die Besprechungen kleiner Provinzzeitungen über seine Lesungen sammelte. Wenn ich darüber lachte, sah er mich verständnislos an. Mir gefiel unser neues Leben, aber die Wut verging erst, als das geschah, was für mich bis heute außer Fannys Geburt das einzige Wunder war, das ich erlebt hatte. Wir taumelten trunken vor Glück durch die Nacht, umarmten wildfremde Menschen, liefen zu der Mauer, die bis vor ein paar Stunden die eine Welt von der anderen getrennt hatte und plötzlich nichts war als sinnloses Mauerwerk, Symbol einer Vergangenheit, die eben noch als ewige Gegenwart erschienen war. Damals begann meine Wut allmählich zu versickern, zuerst in einem mitleidlosen Triumphgefühl, das vor dem eigentlich liebenswerten Verstummen meiner Mutter nicht haltmachte. Und als der Genosse Keller zuerst in Depressionen versank und kurz darauf einem Herzinfarkt erlag, empfand ich das als gerechte Strafe für sein anmaßendes Sekretärsleben, mit dem er meine Mutter und damit meine Kindheit verdorben hatte. Es dauerte ein paar Jahre, ehe mir mein Triumph zuwider wurde. Erst als den senilen, krebszerfressenen, entmachteten Männern der Prozess gemacht wurde, verging mir die Lust auf das Siegen; und auch die Wut.
    Aber offenbar genügte es, dass diese beiden grotesken Gespenster auftauchten, um in meinem Körper die Symptome längst überwundener Seelenzustände zu aktivieren.
    Erich, der immer noch auf der Wiese hockte, reckte seinen Arm, ballte die magere Faust und rief mit zittriger Greisenstimme: Der Solismus wird siegen. Rot Front!
    Er hatte das Wort Sozialismus wegen seines saarländischen Dialekts noch nie richtig aussprechen können. Ich überlegte, ob ich ihm das zum Abschied sagen sollte, aber Nicki sah mich aus seinen blauen Augen so eindringlich an, dass ich glaubte, ihn sprechen zu hören. Komm jetzt endlich, hörte ich ihn in einer wohlklingenden Tonlage sagen, lass die Idioten.
     
    Wir waren gerade ein paar Schritte gegangen, als Bruno, sein Phantombier in der Hand, plötzlich vor mir stand. Er verschränkte die Arme vor der Brust, überkreuzte mit dem rechten Fuß graziös den linken, wobei er den Boden nur mit der Fußspitze berührte, und stand da wie ein zerlumpter Possenspieler, der eben einer Jahrmarktsbühne entsprungen war.
    Hallo, Gnädigste, wo haben Sie denn diesen Satansbraten aufgestöbert?, fragte er mit Blick auf Erich, dem Margot gerade auf die Beine half. Haben Sie die beiden so zugerichtet?
    Ich sagte, ich hätte sie weder aufgestöbert noch zugerichtet. Sie seien mir leider vor die Füße gelaufen, ich sei aber nicht willens, ihnen noch eine weitere Minute meines Lebens zu opfern.
    Tja, sagte Bruno, die Minuten des Lebens sind gezählt, die des Todes nicht. Ich habe Zeit. Ist er einsichtig?
    Nein, sagte ich, er nicht und sie auch nicht. Sie verstehen gar nichts. Sie wissen nicht einmal, dass er bald ins Gefängnis kommt. Irgendwie sind sie 1990 in der Zeit stecken geblieben.
    Da habe ich ja noch gelebt, rief Bruno, obwohl ich mich daran kaum erinnern kann. Es wurde ja behauptet, ich sei alkoholbedingt dement gewesen. Ich bin zweifach betrogen. Zuerst haben diese Halunken mir als einzigen Ausweg aus ihrer geistlosen Tyrannei nur den Bierrausch gelassen, in dessen Folge ich mich dann nicht einmal an ihrer Schmach delektieren konnte.
    Bruno steckte die Bierflasche in seine Jackentasche und rieb

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