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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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sich kampfbereit die Hände. So, unverehrte Herrschaften, Sie werden verstehen, dass mir unter diesen Umständen unsere Begegnung ein besonderes Pläsier ist.
    Nicki setzte sich wieder hin. Bruno, der mit langen Schritten um Margot und Erich herumstolzierte und sie dabei unter fortwährendem Kopfschütteln begutachtete, hatte offenbar sein Interesse geweckt.
    Bis auf die blauen Haare sehen Sie zwar ein bisschen ramponiert, aber sonst ganz normal aus, sagte Bruno. Was hatten Sie eigentlich bei Ihren coiffeuristischen Vorlieben gegen die bunten Frisuren der Punker? Ich frage das nur, weil mein Neffe wegen seiner rosafarbenen Haare sogar einmal verhaftet wurde.
    Können Sie mir sagen, was dieses Affentheater soll?, herrschte Margot ihn an.
    Bruno legte den Zeigefinger über die Lippen. Psst, Sie haben vierzig Jahre lang geredet, jetzt müssen Sie ganz still sein und nur antworten, wenn ich Sie frage. Also was hatten Sie gegen die rosafarbenen Haare meines Neffen?
    Margot schwieg und zupfte Erich, der gerade zu einer Antwort ansetzte, am Ärmel.
    Aha, sagte Bruno, ist auch zweitrangig. Die Haare waren sowieso nicht rosa, sondern grün. Aber, Unwerteste und Unwertester, das müssen Sie mir verraten: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einem Staat vorstehen zu müssen und das darin ansässige Volk, als es Ihnen davonlaufen wollte, einfach zu kapern? Ist Ihnen die Mutter Gottes erschienen oder gar der liebe Herr Jesus persönlich und hat Ihnen offenbart: Ihr seid berufen, einem Staat vorzustehen?
    Ha, Jesus und Maria, rief Margot, die Rauschgiftdealer für das Volk. Wir haben für das Volk und die Gerechtigkeit gekämpft, als du noch nicht geboren warst.
    Sie zupfte Erich wieder am Ärmel. Sag es nicht, Erich.
    Aber Erich, übermannt von einer Erinnerung, ließ sich diesmal nicht zurückhalten. Es war nicht Jesus, auch nicht Maria, es war Stalin. Eines Nachts, ich saß schon das sechste Jahr im Gefängnis der Nazischergen, es war so kalt, und ich konnte nicht schlafen, da erschien mir im kalten Mondlicht an der Zellenwand sein Gesicht, zuerst verschwommen, dann immer klarer, die gütigen Augen, der stattliche Bart, und er sprach zu mir: Erich, du wirst überleben. Ich werde Hitler schlagen, und du wirst frei sein. Dann aber geh nach Berlin und kämpfe für die Befreiung der Menschheit. Du wirst auf einen starken Mann treffen. Halte dich an ihn und überlebe ihn. Du wirst der Höchste deines Volkes sein. Habe Geduld, dann aber tue dein Werk.
    Mit entrücktem Lächeln lauschte Erich Stalins Worten nach, ehe er die Hand, die er ausgestreckt hielt, als wolle er sich selbst noch einmal Stalins Segen erteilen, feierlich sinken ließ.
    Bruno schüttelte sich vor Lachen, zog sein Phantombier wieder aus der Tasche, trank ausgiebig und lachte, bis er sich verschluckte und ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Mein Gott, ein Knastkoller, nichts als ein Knastkoller.
    Bruno beruhigte sich nur langsam. Margot hatte sich abgewendet, vermied es auch, den vor Erregung immer noch zitternden Erich anzusehen, dessen Bekenntnis ihre Loyalität als Ehefrau und Genossin sichtbar überforderte. Nickis Hundesensorien aber schienen in Erichs Ausnahmezustand eine Gefahr zu wittern. Mit vibrierenden Muskeln, die blauen Augen dabei unverwandt auf Erich gerichtet, stand er sprungbereit neben mir.
    Der guckt schon wieder so, klagte Erich.
    Wenn man ihm lange in die Augen sieht, kann man hören, was er meint, sagte ich.
    Erich versuchte es, drehte aber nach drei Sekunden den Kopf erschrocken zur Seite, als würden Nickis schöne blaue Augen ihn blenden.
    Ich höre nichts, sagte er, und ich murmelte: Ist vielleicht auch besser so.
    Eine große dunkle Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben und nur ihren unteren Rand freigelassen, von dem nun gerade auf den Flecken Wiese, wo Bruno sein Spiel mit Margot und Erich trieb, das Licht wie auf eine Bühne fiel.
    Bruno hatte sich inzwischen wieder gefasst. Er bedaure, dass ausgerechnet eine Episode aus der rühmlichsten Dekade in Erichs Leben, der er seine Achtung nicht versagen wolle, diesen Ausbruch von Heiterkeit in ihm verursacht habe, sagte er. Allerdings habe Erich diesen zehn unschuldigen Jahren dann fünfzig schuldhafte angefügt, die zudem Brunos ganzes Leben verschlungen hätten, so dass in der Summe fünfmal so viel Verachtung wie Achtung herauskomme.
    Brunos kleine Rede musste einen Reflex in Erich ausgelöst haben. Er streckte sich, stieß das Kinn nach vorn, so dass die schlaffe Haut um seinen

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