Zwischenspiel: Roman (German Edition)
Bekenntnissen zum Leben im Allgemeinen, zu Liebe, Freundschaft und zu dem Glück, das Kinder bereiteten, im Besonderen, fiel mir nichts ein. Seine gepriesene Form der Nächstenliebe sei durchaus populär, sagte ich. Es gebe inzwischen Millionen von Kindern, denen die selbstlose Liebe ihrer Eltern das Leben erspart hätte.
Bruno hielt das für eine beruhigende Nachricht. Wer keine Kinder habe, könne sie auch nicht in den Krieg schicken und müsse sie im Angriffsfall auch nicht verteidigen, sagte er, die steigende Anzahl kinderloser Menschen sei demzufolge ein Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens.
Ich hatte kurz zuvor den Aufsatz eines Bevölkerungspolitikers gelesen, der statistisch nachwies, dass die Anzahl der Söhne, über die ein Land verfügte, über Krieg und Frieden entschied und dass in Europa erst Frieden herrschte, nachdem die menschlichen, vor allem männlichen Ressourcen erschöpft waren und wegen der Geburtenrückgänge auch nicht mehr ersetzt wurden. Wenn das stimmte, hatte Bruno sogar recht. Außerdem hatte ich selbst schon darüber nachgedacht, wer denn die Abwesenheit von Menschen auf der Erde bedauern sollte, wenn es keine Menschen mehr gab, dass also das ganze Gerede von der Katastrophe, die ein Verschwinden der Menschen von diesem Planeten bedeuten würde, eigentlich Unfug war. Niemand würde uns vermissen, außer den Hunden vielleicht, den einzigen Tieren, die sich mit uns befreundet hatten. Dass ich Brunos Lust an Untergangsszenarien trotzdem nicht teilen wollte, lag wahrscheinlich nur daran, dass er tot war und ich lebte. Als ich nach längerem Nachdenken gerade tief einatmete, um doch noch zu einer Verteidigungsrede für das Leben und die Menschen, für mich, Fanny, Olga und ein paar andere anzusetzen, unterbrach mich Bruno, bevor ich nur ein Wort gesagt hatte.
Ehe Sie sich echauffieren, Gnädigste: alles nur Phantomgedanken, das ist meine Version für die ungeraden Wochen, für gerade habe ich eine andere, und für den Sommer eine andere als für den Winter. Man kann die Dinge so oder anders sehen. Zum Beispiel hat mir unsere Begegnung ein paradoxes Gefühl von Lebensfreude beschert. Sogar Margot und Erich zu treffen hat heute Spaß gemacht.
Er prostete mir mit der Bierflasche zu, deutete eine galante Verbeugung an und löst sich auf in nichts.
Nicki untersuchte den Platz, auf dem Bruno eben noch gestanden hatte, schob seine Nase schnüffelnd durch das Gras, verlor aber schnell das Interesse und schlug entschlossen die Richtung ein, aus der vorhin die merkwürdigen Geräusche gedrungen waren. Er lief voran, sah sich aber immer wieder nach mir um, um sich zu vergewissern, dass ich ihm auch folgte. Ich lief ihm einfach hinterher, froh, dass wieder Ruhe um mich war. Warum hatte Bruno mich eigentlich nicht nach Hendrik gefragt, der ja gewiss der eigentliche Grund für sein Interesse an mir war und das Einzige, was Bruno und mich je verbunden hatte. Sogar dass er uns beide verlassen hatte, einte uns, das vielleicht vor allem.
Früher, als Bruno in unserem Leben noch eine Rolle gespielt hatte und Hendrik und er ohne mich zu ihren Kneipentouren aufgebrochen waren, hatte ich in ihm eher einen Rivalen als einen Freund gesehen. Die beiden verband nicht nur eine Vergangenheit, zu der ich nicht gehörte, sondern eben auch jene Symbiose, die sich mir erst offenbarte, als ich das blaue Heft mit der Aufschrift »Bruno IV « fand. Bruno besetzte einen Platz in Hendriks Leben, zu dem mir der Zutritt nicht nur verwehrt war, sondern den ich auch gar nicht erobern konnte, weil ich nicht über Brunos Talente verfügte, den ich anderenfalls aber, also ausgestattet mit Brunos Genie, wahrscheinlich gar nicht hätte erobern wollen, sondern meine Talente lieber für mich selbst genutzt hätte. Vielleicht war die geheimnisvolle Freundschaft der beiden sogar eine Voraussetzung unseres, Hendriks und meines, gemeinsamen Lebens gewesen und nicht, wie ich damals glaubte, eine kränkende Männerbündelei. Jedenfalls begann Hendrik, als Bruno seinen Ideen keine Flügel mehr wachsen lassen konnte, nach neuen Inspirationsquellen zu suchen. Er reiste viel, bekam Preise, galt als achtbarer Schriftsteller und wichtiger Chronist unserer Zeit, wenn seine Bücher auch nicht mehr zu den medialen Sensationen einer Saison gehörten.
Irgendwann fiel mir auf, dass sich etwas verändert hatte, schleichend, so dass ich nicht sagen konnte, wann es begonnen hatte. Vielleicht hatte ich die Zeichen nur nicht beachtet oder versucht, sie
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