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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Hals zitterte. Plötzlich stand er straff und kerzengerade wie früher auf den Tribünen, wenn er zu seinem Volk gesprochen und dabei das Wort Sozialismus verstümmelt hatte.
    Ihr Leben verschlungen?, sagte Erich. Wie es aussieht, haben Sie Ihr Leben im Bier ersäuft. Wahrscheinlich haben Sie sogar studiert, so gespreizt wie Sie reden. Ich konnte nicht studieren, Margot auch nicht. Daran waren Leute wie Sie schuld, aufgeblasene Bourgeois, Kapitalisten, Generäle, Kriegstreiber. Wir haben für Gerechtigkeit gesorgt, wir Kommunisten. Sie durften trotzdem studieren, auf unsere Kosten, und reden von Schuld. Sie Knecht der Konterrevolution.
    Es hat keinen Sinn, sagte ich zu Bruno, sie glauben daran.
    Schade, sagte Bruno traurig, selbst das geringste Schuldeingeständnis hätte mir vermutlich eine gewisse Genugtuung bereitet, wenn auch nur ein Genugtuungsphantom.
    Sie können gehen, sagte ich zu Erich, der argwöhnisch den Hund beobachtete. Ich halte ihn fest.
    Margot nahm Erich an die Hand und rief: Wir haben ein Samenkorn in die Erde gelegt. Der Sozialismus wird kommen.
    Als sie ein paar Meter entfernt waren, fingen sie an zu singen, zuerst Margot, dann mit brüchiger Stimme auch Erich:
    Völker, hört die Signale …
    Bruno streichelte Nicki den Kopf: Und was weißt du von Schuld? Nichts. Ein glückliches bewusstloses Geschöpf bist du.
    Nicki wedelte mit dem Schwanz, gähnte verlegen und sah mich an. Er wollte endlich weitergehen.
    Ich fragte mich, warum ein Schuldeingeständnis der beiden Bruno etwas bedeutet hätte, mir aber vollkommen gleichgültig war. Eigentlich hätte es alles nur schlimmer gemacht. Wären sie jetzt imstande, ihre Schuld zu erkennen, dann hätten sie das auch vor dreißig oder zwanzig Jahren oder sogar noch früher gekonnt. Das hätte wahrscheinlich am Lauf der Welt, den sie ohnehin nicht entschieden haben, nichts geändert, aber dann hätten sie nicht einmal an ihr Recht geglaubt, das ganze Unglück anzurichten.
    Wozu brauchst du ihre Schuld eigentlich?, fragte ich.
    Bruno lachte. Aber Gnädigste, soll ich sie selbst mit mir herumschleppen? Die Sache mit der Schuld ist wie ein Hütchenspiel. Es gewinnt immer, der sie verteilt. Ich habe nicht einmal an der Literatur schuldig werden wollen und darum keine Zeile geschrieben, und schwupp, lag die Schuld unter Hendriks Hütchen. Diesen beiden Schurken und ihren Folterknechten habe ich nicht dienen wollen und darum meine geistigen Aktivitäten weitgehend privatisiert. Und so landet die Schuld, die ich anderenfalls hätte auf mich laden können, deren Vermeidung mich aber zu einem unglücklichen Säufer gemacht hat, unter ihrem Hütchen, sofern darunter noch Platz ist. Was ist, Gnädigste, sehe ich einen Anflug von Zweifel in Ihren schönen Augen?
    Ich dachte an Olgas Satz: Schuld bleibt immer, so oder so.
    Bedeutet Nichtstun schon Unschuld?, fragte ich. Das hieße ja, wenn alle Menschen aufhörten, etwas zu tun, gäbe es keine Schuld mehr in der Welt. Aber auch sonst nichts, kein Brot, keine Häuser, keine Kinder, keine Bücher.
    Bruno schüttelte gelangweilt den Kopf. Ach, Gnädigste, nicht diese vulgärdialektischen Volten. Und keine Sorge, auf nichts verzichten die Menschen leichtherziger als auf ihre Unschuld, jedenfalls leichter als auf Brot, Fleisch, Häuser, sogar Bücher. Nichts davon würden sie ihrer Unschuld opfern. Kinder fallen in eine andere Kategorie. Ihr Hund zum Beispiel, diese schuldunfähige Kreatur, will vom Leben nur zwei Dinge: Fressen und Hündinnen besteigen, obwohl er nicht einmal ahnt, dass dieser Akt mehr bewirkt als die eigene Triebbefriedigung. Der Mensch hingegen lädt schon mit der Zeugung eines Kindes Schuld auf sich. Er weiß, was er diesem neuen Menschen schuldig bleiben muss, er kennt die eigene Unvollkommenheit, die lauernden Gefahren, das programmierte Unglück. Es wird behauptet, wer keine Kinder in die Welt setzt, sei ein Egoist oder Hedonist, in jedem Fall ein Zerstörer des Rentensystems, dabei liegt in der Verweigerung von Nachkommenschaft die edelste Nächstenliebe im wahren Sinn des Wortes: die Liebe zu dem Nächsten, der uns nachfolgen sollte, aber verschont bleibt. Ich habe meine Kinder zu sehr geliebt, als dass ich es übers Herz gebracht hätte, sie zu zeugen.
    Bruno ließ sich zufrieden ins Gras fallen, hielt sein Gesicht in die Sonne und sagte: Schade, dass ich sie nicht mehr spüren kann.
    Ich überlegte, was ich Brunos nihilistischem Programm entgegenhalten könnte. Aber außer peinlich klingenden

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