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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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auf.
    Sie glaubt mir nicht, sagte ich und sah Olga an in der Hoffnung, sie würde mich entlasten, indem sie versicherte, dass wenigstens sie mir glaube, oder für den Fall, sie glaubte mir nicht, doch verstehen könne, warum ich Bernhard, Andy und Rosi nicht begegnen wollte, aber Olga hörte mir gar nicht zu, sondern versank gerade in Nickis blauen Augen und verjüngte sich dabei sekündlich.
    Olga, rief ich, jetzt siehst du aus wie vor dreißig Jahren, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, da warst du so alt wie ich jetzt.
    Wirklich? Ach, ich hätte so gern einen Hund gehabt, aber Hermann hat es nicht erlaubt. Er hatte wohl Angst, ich könnte mich um den Hund am Ende mehr sorgen als um ihn. Unsere Wurstverkäuferin hat mir einmal erzählt, alle hundebesitzenden Ehepaare würden sich streiten, wenn es um Leberwurst gehe, weil die Frauen immer die zarte, hundeverträgliche Wurst kauften und nie die von Männern bevorzugte Pfälzer oder Zwiebelleberwurst, was die Männer natürlich kränke und an der Liebe ihrer Frauen zweifeln lasse. Wahrscheinlich ist es für die Männer schon schwer genug, dass man die Kinder so liebt, sagte Olga.
    Aber die Männer lieben die Kinder doch auch, sagte ich.
    Ja, vielleicht, sagte Olga, anders, später.
    Nicki setzte sich neben Olga und legte seine Schnauze auf ihren Oberschenkel, als wolle er sie entschädigen für ihren lebenslangen Verzicht. Olga war gerührt und strich ihm andächtig über den Kopf.
    Ich dachte immer noch an Fanny. Ihr Anruf war in diesen sonderbaren Tag gedrungen wie das Weckerrasseln in einen Traum.
    Sie hat nicht einmal gefragt, was mit meinen Augen ist, sagte ich.
    Olga schwieg. Am Wurststand lärmte eine Gruppe jugendlicher Fußballspieler, von der sich Nicki aber nichts erhoffte. Ich zündete mir eine Zigarette an, sah zu, wie Olga den Hund streichelte, und versuchte, mir ihr Schweigen zu übersetzen. Fanny hat doch recht, hieß das wohl, du wolltest Bernhard nicht treffen und warst froh, als es endlich zu spät war. Aber er ist ihr Vater.
    Natürlich war er ihr Vater, was ihn nicht gehindert hat, sie als Spitzel zu missbrauchen. Ich wusste nicht, ob Olga die Geschichte kannte. Als ich selbst davon erfuhr, war alles längst vorbei. Die Jahre, in die Margot und Erich sich hier im Park verirrt hatten, lagen schon hinter uns. Bernhard hatte seine Stellung im Museum verloren und trank zu viel, wie es Olga einmal in ihrem Kummer entfuhr. Sonst sprachen wir nie über Bernhard. Damals wollte ich ihr ersparen, was ich über ihren Sohn aus Hendriks Geheimdienstdossiers erfahren hatte.
     
    Hendrik hatte lange gezögert, ehe er sich entschloss, seine Akten zu lesen. Ihn interessiere dieser ganze Scheiß nicht mehr, sagte er, er könne sich ohnehin denken, was er darin finden würde, er wolle sich damit nicht mehr befassen. Es waren wohl die unglaublichen Enthüllungen in den Akten anderer, die ihn umstimmten. Zwei Tage saßen wir über den acht Aktenordnern mit Kopien der Observations- und Spitzelberichte, rätselten, welche Namen die mit dickem Filzstift gezogenen schwarzen Balken wohl verbargen, und versanken albtraumhaft in der Vergangenheit, die in ihrer widerlichen, allmachtsversessenen Sprache wieder auferstand und an uns kleben blieb wie Pech und Schwefel. Trotzdem lasen wir weiter. Dabei behielt Hendrik recht, das meiste hatten wir uns denken können, einige Vermutungen wurden bestätigt, andere nicht. Wirkliche Überraschungen fanden wir nicht, bis Hendrik plötzlich aufstöhnte.
    Ich fasse es nicht, das fasse ich nicht, sagte er leise und reichte mir den aufgeschlagenen Ordner. Der IM Modigliani, las ich, berichtete in dem letzten Treffen von einem Gespräch mit seiner neunjährigen Tochter, aus dem der IM schließe, dass die Mutter mit ihrem Ehemann, dem für seine feindlich-negativen Ansichten berüchtigten Schriftsteller Hendrik K., plane, die Deutsche Demokratische Republik zu verlassen. Die Tochter erhalte zur Zeit privaten Englischunterricht. Das Kind habe in der Schule noch kein Englisch und sei sonst eine sehr gute Schülerin, die keinen Nachhilfeunterricht benötige. Außerdem habe die Tochter erzählt, dass die Mutter und ihr Mann in letzter Zeit oft Besuch aus Westberlin und der BRD bekämen und sie vielleicht bald umziehen würden. Wohin die Familie ziehen wolle, bleibe unklar, aber der IM schließe aus den verschiedenen Details, dass es sich nur um die Ausreise aus der DDR handeln könne. »Ein entsprechender Antrag beim Kulturministerium

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