Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
ihr Mut zuzusprechen. Doch anstatt auf meine Antwort einzugehen, starrte sie mich nur regungslos an.
»Erde an Marie, Erde an Marie! Was ist los? Hast du eine Vision der Lottozahlen, oder was ist los?«
»Quatsch, keine Lottozahlen. Ich wundere mich nur gerade darüber, dass du anscheinend auch vergessen hast, wie man mit der Gabel isst. Oder gibt es einen speziellen Grund, warum du nur deinen Löffel nimmst?« Löffel? Sie hatte wohl ein Rad ab, warum sollte ich mein Risotto löffeln? So dachte ich jedenfalls, bis mein Blick auf den Tisch fiel. Um genauer zu sein, auf das, was links neben meinem Teller lag. Eine Gabel! Ein kurzer Check auf das, was ich in meiner Hand hielt, bestätigte mich in meiner Befürchtung, dass ich nicht aus Versehen zwei Gabeln erhalten hatte.
»Und was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?« Wenn ich das nur wüsste!
»Ähm … keine Ahnung, hat vielleicht noch was mit der Projektwoche zu tun. Du weißt schon, ›Leben im Mittelalter‹, da gab es noch keine Gabeln, es muss irgendwie damit zu tun haben«, versuchte ich dieses Phänomen zu erklären. Doch selbst in meinen Ohren klang die Theorie sehr dünn, immerhin war die Projektwoche vor fast zwei Monaten gewesen.
»Und die Ärzte wissen wirklich nicht, was dir fehlt?«, hakte sie noch einmal nach.
»Nein, wie oft soll ich dir das noch sagen, sie gehen davon aus, dass ich ein traumatisches Erlebnis hatte und dass das der Auslöser war. Aber was es war, können sie nicht rausfinden. Und nein, Hypnose bringt auch nichts.« Ich sah ihr an, dass sie das als Nächstes vorschlagen wollte, immerhin war sie dadurch Nichtraucherin geworden und schwor seitdem auf Hypnose.
»Und das s irgendwelche deiner Gehirnwindungen dabei komplett kaputtgingen, ist auch ausgeschlossen?« Dabei grinste sie mich jedoch so verschmitzt an, dass ich ihr einfach nicht böse sein konnte. Vermutlich wollte sie mich nur aufmuntern und manchmal kam ihr dabei ihr merkwürdiger Sinn für Humor in den Weg.
»Da ist doch eh schon alles so kaputt, da ist nichts mehr zu retten. Aber damit die liebe Seele Ruhe hat, werde ich jetzt meine Gabel nehmen und damit weiteressen. Und du erzählst mir jetzt, woher der plötzliche Sinneswandel bei dir kommt.« Sie druckste für einen kurzen Moment herum, bevor sie antwortete:
»Wahrscheinlich lachst du gleich über mich. Ich habe letzte Woche ein Buch gelesen. Es war das schönste und romantischste Buch, das mir je untergekommen ist, und da habe ich gemerkt, dass ich das auch will. Und zwar jetzt sofort.«
»Was willst du auch?«, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Liebe, Hingabe, immer füreinander da sein, Vertrauen. Ach du weißt schon, den ganzen blöden Mist halt, von dem sie dir immer suggerieren, dass es das wirklich gibt. Ich will das auch und ich will nicht mehr länger mit Fröschen ausgehen! Es ist Zeit für den Prinzen.« Sie seufzte, griff nach ihrem Glas und nahm einen großen Schluck daraus. Dabei sah sie so herzzerreißend elend aus, dass ich nicht anders konnte, als von meinem Platz aufzustehen, zu ihr zu gehen und sie fest an mich zu drücken.
»Ach Marie, ich bin mir sicher, dass es das nicht nur in Büchern und Filmen gibt. Schau dir meine Eltern an, die sind das beste Beispiel dafür. Aber du weißt schon, dass du die Frösche nicht küssen, sondern an die Wand klatschen musst, erst dann werden sie zu Prinzen. Und bestimmt gibt es da draußen auch den Mann für dich, ich bin mir sicher.« Und wenn das Schicksal nichts dagegen hat, würde ich auch einen für mich haben wollen, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich sehnte mich nach den gleichen Dingen wie Marie und hatte nichts dagegen, ein ebensolches Exemplar abzubekommen. Ein paar Tränen kullerten ihr übers Gesicht und wie immer musste ich neidvoll feststellen, dass sie beim Weinen unglaublich niedlich aussah. Keine verquollenen Augen oder eine gerötete Nase wie bei einem Megaschnupfen, wie es bei mir der Fall war. Nein, bei ihr rannen die Tränen fast kunstvoll über die Wangen. Wenn sie nicht meine beste Freundin gewesen wäre, hätte ich sie dafür hassen können.
»Hoffentlich hast du recht. Ich habe einfach keine Lust mehr auf diese ganzen Dates, ich will doch nur einen netten Mann, ganz für mich alleine! Meinst du, ich kann mir einen beim Universum bestellen?« Ich seufzte, Marie und ihre Esoterikschiene, die hatte ihre Mutter ihr wohl mit in die Wiege gelegt. Seit sie davon gehört hatte, glaubte sie wirklich, dass es funktionierte.
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