Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
manchmal mit einer Art drittem Auge ausgestattet? Kam das mit der Geburt der eigenen Kinder? Denn bei mir hatte ich solche Anwandlungen bisher noch nicht feststellen können.
»Ich überlege es mir noch einmal wegen Phil. Immerhin muss ich ja mit ihm glücklich werden und nicht ihr«, beendete ich die Unterhaltung mit der Andeutung eines Lächelns.
»Da ist was Wahres dran. Melde dich in den nächsten Tagen, damit wir uns keine Gedanken machen müssen, verstanden?« Ich nickte, gab ihm noch einen Kuss auf die Wange und entließ ihn ins Treppenhaus. Ich schloss die Tür.
Endlich alleine! Ich genoss die Stille, die mich umgab. Und ich konnte wieder tun und lassen, was ich wollte. Nicht, dass bei meinen Eltern strenge Regeln geherrscht hatten, an die ich mich hatte halten müssen, aber es war doch etwas anderes , alleine in den eigenen vier Wänden zu sein, als zu Gast bei jemand anderem. Und auch wenn es meine Eltern waren, ein Gast war ich trotzdem gewesen. Ich ging ins Schlafzimmer, wo ich meine Wäsche in den Schrank packte, denn das war der Luxus des Hotels Mama, man bekam im Gegensatz zum normalen Urlaub frisch gewaschene Wäsche mit nach Hause. Ob sich das als Geschäftsidee vermarkten ließ? Nach dem Motto: Lassen Sie Ihre Wäsche hier waschen und der Urlaub geht zu Hause weiter? Nicht schlecht die Idee, sollte ich irgendwann mal nicht mehr an der Schule arbeiten, musste ich mir diesen Gedanken unbedingt im Hinterkopf behalten. Am besten irgendwo aufschreiben, sodass ich das bei meiner nächsten Amnesie nicht auch vergaß. Ich ging ins Bad, wo ich meine Kosmetiktasche auspackte und mir schnell meine Haare zu einem Pferdeschwanz band. Dabei ärgerte ich mich erneut über meine langen und völlig wirren Locken, die bei gutem Licht kastanienbraun waren und bei schlechtem einfach nur langweilig braun, selbst tönen oder ähnliches brachte da nichts. Immer wieder beneidete ich Frauen, die mit ein paar Strähnchen die tollsten Lichtreflexe in ihr Haar zauberten, während das bei mir aussah, als wäre ich mit einem zu großen Pinsel zugange gewesen. Wenigstens gab mir mein Gesicht keinen besonders großen Grund zu Kummer. Alles saß am richtigen Platz und passte in den Proportionen gut zusammen, Hautprobleme hatte ich auch keine. Also was das anging, konnte ich mich wirklich nicht beklagen, und dass ich nicht in Größe 36 passte und auch 38 manchmal recht eng war, war auch nicht das Schlimmste. Aber im Grunde genommen war ich nichts Außergewöhnliches, und so jemanden sollte sich Phil Berger angeblich als seine Freundin ausgesucht haben? In meinem ganzen Leben war ich noch keinem Mann begegnet, der dermaßen gut aussah und so gebaut war wie er. Während unserer Vorbereitung zur Projektwoche hatte er auch gezeigt, dass einige gute Seiten in ihm steckten und doch war er mir mehr als Troublemaker in Erinnerung geblieben. Wieso war ich diejenige, der er seine Gunst schenkte? Er konnte jedes Supermodel haben und dann fiel seine Wahl ausgerechnet auf mich? Oder hatte er mit jemandem gewettet, dass er jede Frau für sich gewinnen konnte? Und die Wahl war dabei auf mich gefallen? Und warum, verdammt noch mal, ließ mich der Gedanke an ihn einfach nicht los? Immer wieder sah ich sein trauriges Gesicht vor mir, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Er hatte so aufrichtig gewirkt und so verletzt. Vielleicht hatte mein Vater recht gehabt und ich sollte ihm doch eine Chance geben?
Ich streckte meinem Spiegelbild die Zunge heraus, drehte mich um und ging in die Küche. Gott sei Dank war Marie so vorausschauend gewesen und hatte meinen Kühlschrank von allem befreit, was ein Eigenleben hätte entwickeln können. Und so erwartete mich beim Öffnen der Tür keine wilde Schimmelpilzparty, sondern gähnende Leere. Marie war äußerst gründlich gewesen und hatte wirklich alles entsorgt. Und mit Trockenvorräten würde ich nicht weit kommen. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, ich musste mich auf den Weg zum Supermarkt machen, wenn ich in nächster Zeit etwas essen wollte.
Es war Freitagnachmittag, und als ich mit meinem Auto auf den Kundenparkplatz des Supermarkts fuhr, stellte ich fest, dass ich wohl mitten in einen Flashmob geraten war. Der Parkplatz war brechend voll und nur mit Mühe schaffte ich es, eine freie Parklücke für mich zu erobern. Nicht ohne mir den bösen Blick eines Mitstreiters einzuhandeln, der den Parkplatz einen Moment nach mir entdeckt hatte. Auch bei den Einkaufswagen herrschte beinahe Ebbe.
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