Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
Hatte ich irgendetwas verpasst? Stand ein langes Wochenende vor der Tür und alle glaubten, dass sie Hungersnöte zu leiden hatten, wenn sie drei Tage lang nicht einkaufen konnten? Vorsichtig schob ich meinen Wagen durch die vollen Gänge, um bloß niemanden anzurempeln oder selbst einen Wagen in die Fersen geschoben zu bekommen. Zu einem Schweizer-Käse-Gedächtnis brauchte ich nicht noch blaue Flecken oder einen verstauchten Knöchel. Schnell hatte ich Obst und Gemüse eingepackt, bevor ich mich zur Fleischtheke begab. Entgegen dem Trend, der Singles zu Tiefkühlkostlern abgestempelt hatte, kochte ich häufig selbst und bevorzugte es, zu wissen, was sich in meinen Töpfen befand. Anstatt beim Lesen der Inhaltsstoffe zu raten, was um Himmels willen Mono- und Diglyceride waren. Ich bahnte mir meinen Weg durch die überfüllten Gänge zu dem Regal mit den Milchprodukten; dort wartete etwas auf mich, was ich in den letzten Wochen schmerzlich vermisst hatte: mein Fertigkakao! Ich liebte diesen Kakao in der Glasflasche, der so herrlich nach Schokolade schmeckte und bei dem es mir egal war, ob seine Inhaltsstoffe echt oder doch eher künstlicher Natur waren. Schon von Weitem erkannte ich, dass nur eine einsame Flasche im Kühlregal stand. Ich beschleunigte meine Schritte, nicht, dass mir noch einer in letzter Sekunde die Flasche vor der Nase wegschnappte. Ich ließ meinen Wagen stehen und ging direkt darauf zu. Ich streckte die Hand aus und hatte meine Fingerspitzen fast am Flaschenhals, da griff eine große Hand an mir vorbei und zog die Flasche vor meiner Nase weg. Empört blickte ich zu dem dreisten Kakaodieb und musste erst einmal blinzeln, um mich zu vergewissern, dass meine Augen mir keinen Streich spielten. Der Kakaodieb entpuppte sich als ein recht attraktives Exemplar der Spezies Mann. Groß, schlank, mit dunklen kurzen Haaren, wunderschönen grünen Augen und einem gleichmäßigen, sehr attraktiven Gesicht. Er begegnete meiner Musterung gleichgültig und nahm mich ebenfalls genauer ins Visier. Was bei mir dazu führte, dass meine Gesichtsfarbe sich den Tomaten in meinem Einkaufswagen anpasste, wie ich an der Hitze, die durch mich schoss, gleich merkte.
»Du wolltest auch den Kakao?«, fragte er, als er mit der Bestandsaufnahme meiner Wenigkeit fertig war. Als hätte ich meine Zunge verschluckt, brachte ich lediglich ein zögerliches Nicken zustande. Erneut hatte es ein gut aussehender Mann geschafft, mich zum Schweigen zu bringen. Wann würde ich diesen Fluch endlich überwinden? Ich war doch sonst nicht auf den Mund gefallen, warum also immer bei gut aussehenden Kerlen?
»Ich würde ihn dir wirklich gerne geben, aber du musst wissen, es ist ein absoluter Notfall und ich brauche den Kakao dringend, andernfalls bin ich ein erledigter Mann!« Zur Antwort zog ich fragend die Augenbrauen nach oben, meine Zunge schien noch immer aus Blei zu sein.
»Meine Schwester bringt mir nachher meinen Neffen vorbei. Ich muss Babysitter spielen, damit sie einen schönen Abend mit ihrem Mann verbringen kann. Allerdings geht dieser kleine Teufelsbraten nur ins Bett, wenn er vorher seinen Kakao bekommen hat. Und es darf nicht irgendeiner sein, nein , es muss genau dieser sein. Noch nicht mal vier, aber man kann ihm kein X für ein U vormachen! Wir haben schon alles versucht, keine Chance. Er merkt immer, wenn er den falschen bekommt. Du siehst, wenn du nicht dran schuld sein möchtest, dass ich eine schlaflose Nacht habe, dann sei so bitte nett und überlasse mir die Flasche!« Zur Bekräftigung seiner Worte schenkte er mir ein strahlendes Lächeln. Wieder so ein Typ, der wusste, dass er mit seinem guten Aussehen überall durchkam, ganz wie mein lieber Kollege Berger. Alleine der Gedanke an Phil und daran, wie er sich meine Unterrichtsvorbereitungen erschlichen hatte, reichten aus, um mich meine Sprache wiederfinden zu lassen. War er also doch noch zu etwas gut.
»Und wenn ich nun ein ebensolches Exemplar zu Hause habe, das morgen früh unbedingt seinen Kakao möchte und ansonsten völlig unleidlich ist? Was denkst du, soll ich dann machen?« Er musste ja nicht wissen, dass es sich dabei um mich handelte. Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete:
»Dann müssen wir einen Kompromiss finden. Ich weiß, was es heißt, wenn man mit so etwas geschlagen ist. Mein Neffe mag wirklich ein süßes Kerlchen sein, aber wenn er seinen Kakao nicht bekommt, ist bei mir der Teufel los.« Treuherzig blickte er zu mir hinüber. Mein
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