Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
aufgrund der Ereignisse der letzten Wochen verdrängt und doch kam mir der Ortswechsel mehr als gelegen. Wenn ich weit genug weg von Phil war, konnte ich das Ganze vielleicht objektiver betrachten und würde wissen, wie es weitergehen sollte.
»Aber lass dir nicht zu viel Zeit mit ihm, wer weiß, ob er nicht bald was Besseres findet. Wenn du weiter einen auf Mimose machst, wird er nicht ewig auf dich warten wollen«, mischte sich Patrick wieder ein. Hatte ich schon mal erwähnt, dass große Brüder schlimmer sind als die Pest? Aber ich hatte nicht umsonst jahrelang solche Sachen über mich ergehen lassen, sodass ich gut wusste, wie ich mich gegen solche Attacken wehren konnte.
»Ach Patrick, wo wir gerade davon reden. Wie steht es zwischen Anne und dir? Ich meine, sie ist heute schon wieder nicht hier. Ist alles in Ordnung bei euch?«, fragte ich mit scheinheiliger Miene, wohl wissend, dass Anne mit einer Freundin ein Wellness-Wochenende gebucht hatte und deshalb nicht dabei sein konnte. Aber um meinen Bruder zum Schweigen zu bringen, war mir alles recht. Und ich hatte den richtigen Hebel in Bewegung gesetzt, denn mit einem Male widmeten alle ihre Aufmerksamkeit meinem Bruder, allen voran meine Mutter.
»Deine Schwester hat recht, wir haben sie schon länger nicht mehr gesehen. Dabei ist sie so ein nettes Mädchen und aus so gutem Hause. Meinst du nicht, dass es an der Zeit wäre, den nächsten Schritt zu wagen? Ich hätte doch so gerne Enkel«, redete sie auf meinen Bruder ein. Ich lehnte mich zurück, nahm meine Tasse und prostete meinem Bruder still zu, der mir giftige Blicke zuwarf.
Spätestens am Abend, als ich zu Hause alleine auf meiner Couch saß, war mir das Lachen allerdings vergangen, denn mir wurde bewusst, dass ich Phil bald gegenübertreten musste. Am nächsten Tag schon, um genau zu sein. Meine Aktion vom Samstag war mir, trotz des übermäßigen Alkoholgenusses, noch allzu klar und deutlich in Erinnerung. Warum konnte ich mich bitte daran erinnern? Ich hatte da ja so ein Händchen fürs Vergessen, warum also nicht das? Und ich schämte mich zutiefst für meinen Ausrutscher, was musste er nur von mir denken? Hoffentlich hielt er mich jetzt nicht für eine der vielen anderen Frauen, die sich ihm schamlos an den Hals warfen.
Sollte ich mich bis zur Klassenfahrt krankmelden? Aber davonlaufen war mehr als feige, ich musste mich wohl meiner Schandtat stellen und mich bei ihm in aller Form entschuldigen. Nur wie konnte ich das bewerkstelligen , ohne dass es wieder in eine Art Katastrophe ausartete? Plötzlich kam mir eine zündende Idee: Ich wollte mich nur entschuldigen und das konnte man durchaus auch per SMS machen. Ich musste nicht direkt mit ihm reden, und hatte meine Schuldigkeit getan. Das war die perfekte Lösung! Ich hatte schon mein Handy hervorgeholt und wollte ihm eine schnelle Nachricht schreiben, da überkamen mich wieder Zweifel. War das wirklich eine gute Idee von mir? Sollte ich das nicht doch besser persönlich machen? Vielleicht konnte ich ihn ja bitten, sich morgen mit mir nach der Schule auf einen Kaffee zu treffen. Ja, das war eine gute Idee.
Und wenn es eine so gute Idee war, warum hatte ich noch letzte Zweifel? Ob nicht vielleicht doch die SMS die bessere Lösung war? Nein, beschloss ich, ich musste das persönlich durchziehen, ich hatte mich da hineingeritten, also musste ich es auch wieder geradebiegen. Glücklich mit meiner getroffenen Entscheidung nahm ich eines der Bücher von meinem Stapel und begann darin zu blättern. Wann und warum hatte ich mir das Buch über ›Höfische Konversation am Englischen Hof im Laufe der Geschichte‹ gekauft? Es gab einige Bücher in meinem Stapel der ungelesenen Bücher, von denen mir nicht ganz klar war, warum sie überhaupt in meinen Besitz gelangt waren. Ich wollte das Buch schon zur Seite legen, als mir eine Art Lesezeichen auffiel. Ein kleines Stück Papier ragte an der Seite des Buchs heraus. Neugierig schlug ich die Seite auf und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Das Papier stellte sich als Foto von mir heraus, an sich nichts Besonderes. Wenn ich nicht ein elisabethanisches Kostüm getragen hätte. Ich nahm das Bild in die Hand, um es näher zu betrachten, musste aber feststellen, dass ich weder herausfinden konnte, wann es gemacht wurde, noch wo. Ich drehte es um und fand die Inschrift: »Zur Erinnerung, Phil«. Mir fielen wieder die ganzen Visionen ein, in denen er, als mein Gegenstück gekleidet, vorgekommen war. War ich
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