Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
Vom Netzwerk:
geben …«, ergänzt Tio.
    »Widerworte? Sie dürfen nicht mal eine eigene Meinung haben!« Ayse dreht sich noch einmal um. Hat sie das vielleicht ein bisschen zu laut gerufen? Aber Sirje und Thorje gehen gemächlich weiter und sind gleich zu Hause. »Also, wenn sie ganz brav sind und schwer arbeiten, dann dürfen sie ganz vielleicht weiterlernen in Terras… Wie heißt das jetzt?«
    »Terrasura«, sagt Tio.
    Ayse sieht ihn nachdenklich an.
    »Sicher nach dem Fluss«, meint Tio. »Dem bei Belmonde. Irgendjemand hat uns von dem erzählt, ich weiß nicht mehr genau wer, Lasje oder Valpa. Der Fluss da heißt Asura.«
    »O je!«, ruft Ayse.
    »Was ist denn?«
    »Haben sich die Runji etwa inzwischen zwei Flüsse unter den Nagel gerissen?«
    Wütend tritt Tio einen Stein vor sich her. »Würde mich nicht wundern.«
    »Na gut«, sagt Ayse und holt tief Luft. »Dann sind wir wenigstens auf alles vorbereitet.«
    Aber sie ist weniger vorbereitet, als sie denkt. Sobald Ayse Sand vor sich liegen sieht, kneift sie ungläubig die Augen zusammen.
    Tio schluckt. »Da liegen ja keine zwei Steine mehr aufeinander.«
    »Es ist beinahe nichts mehr da! Schau mal, die vielen eingestürzten Häuser. Ich kann mir kaum vorstellen, dass hier noch Leute wohnen.«
    Und doch laufen hier und da ein paar Salzländer über die Straße, und beim Hafen sind ein paar armselige Marktstände aufgestellt worden. Es ist aber nicht viel los auf dem Markt, zumal auch kaum etwas angeboten wird.
    »Das Wasser!«, sagt Tio, der schell an den mitleiderregenden Ständen vorbeigeht. »Es ist praktisch verschwunden.«
    »Ein unglaublich niedriger Wasserstand«, bestätigt Ayse. »Ob das immer so ist? Um bis ans Wasser zu kommen, musst du ja richtig weit laufen.«
    Ein Salzländer, der auf einer schäbigen Bank sitzt, von der aus man früher einen herrlichen Blick auf das wogende Binnenmeer und einen Kai hatte, an dem prachtvolle Boote angelegt hatten – Ayse erinnert sich dunkel, auch einmal auf dieser Bank gesessen zu haben –, blickt auf. Er hat gehört, was sie gesagt haben, nimmt die krumme weiße Pfeife aus dem Mund und erklärt heiser: »Das liegt an den Schleusen.« Er zeigt mit der Pfeife in die Ferne. »Schleusen fast durch die gesamte Westbucht.«
    Tio und Ayse blicken auf den Mann nieder. Er gleicht Valpa enorm, etwas älter und krummer, und hat auch so eine Mütze auf dem Kopf. Er raucht sogar die gleiche Art Pfeife. Sicher ist er vor langer Zeit auch einmal Fischer gewesen.
    »Schleusen?«, wiederholt Ayse fragend. »Ich nehme an, dass die Runji sie gebaut haben?« Sie macht sich gar nicht erst die Mühe, die Antwort abzuwarten, sie weiß sie sowieso schon. Sie hakt sich bei Tio ein und zieht ihn mit. »Die alte Herberge«, murmelt sie besorgt.
    Wenige Minuten später stellt Tio fest: »Sie steht leer.«
    Mehrere Fenster sind vernagelt, und die Fenster, die nicht mit Brettern verschlossen sind, zerbrochen. Die Terrasse ist leer, alle Tische und Stühle sind verschwunden. Eine Glühbirne an einem Draht schaukelt leise quietschend hin und her.
    Tio geht zu einem der kaputten Fenster und späht hinein.
    »Und?«, fragt Ayse, die hinter ihn getreten ist und versucht, ihm über die Schulter zu blicken.
    »Nichts zu sehen. Es ist total dunkel da drin. Und leer. Verlassen.« Tio tritt etwas zur Seite, damit Ayse selbst sehen kann.
    »Bah, Spinnweben«, sagt Ayse mit gerümpfter Nase.
    Dicke Netze voller Staub kleben an den zerbrochenen Scheiben, und auch drinnen hängen eklige Fäden von der Decke und von den Lampen.
    »Hier können wir nicht übernachten«, meint Tio.
    »Hier will ich auch nicht mehr übernachten!«, ruft Ayse und verzieht das Gesicht. »Hier wimmelt es doch nur so von diesen Biestern.«
    Bleibt nur, sich das reiche Terrasura anzusehen, denn in Sand ist nichts mehr los.
    Von Sand führt ein schmaler, steiniger Weg zur Runjistadt. Je näher sie ihr kommen, desto breiter und gepflegter wird er.
    Terrasura scheint genau so zu sein, wie sie erwartet haben.
    »Noch reicher«, sagt Ayse.
    »Noch größer.«
    »So weit du gucken kannst, nur Stadt, bis zum Horizont.«
    »Bis zum nächsten Fluss, wette ich. Die Asura. Eingesackt.«
    Tio schnipst verärgert mit den Fingern. »Hab ich’s nicht gesagt?«
    »Schöner ist es nicht geworden.«
    »Nein«, stimmt ihr Tio zu. »Ziemlich durcheinander.«
    »Und düster«, meint Ayse. »All die dunklen Gebäude.«
    »Und die vielen hässlichen Schleusen und hohen schwarzen Brücken.« Tio zeigt darauf.

Weitere Kostenlose Bücher