Zwischenwelten (German Edition)
Leute, die in flatternden Gewändern an ihnen vorbeigehen. Die Mode der Runji hat sich wieder verändert. Die kräftigen Farben sind verschwunden, auch wenn die glänzenden Stoffe beibehalten wurden. Aber nun alle in Dunkelblau und Dunkelgrün. »Jetzt sehen sie aus wie dicke, schimmernde Schmeißfliegen«, kommentiert Ayse unverblümt.
Tio kichert hinter vorgehaltener Hand. Verstohlen betrachtet er die steifen Kopfbedeckungen der Runji, die ihn an Keksdosen erinnern. Er kann kein einziges Haar entdecken, das darunter hervorschaut. Vermutlich sind die Leute immer noch kahlköpfig. »Nein, ich finde auch nicht, dass es hier schöner geworden ist.«
Sie schlendern noch eine Weile über Plätze und durch Straßen, doch es gibt nichts Neues zu sehen: hohe Gebäude, düstere Farben, Glas, Stahl und blassgraue Steine.
Die gemütlichen Restaurants, die früher noch Terrassen hatten, auf denen Tische mit Tischdecken standen, werden nur noch innen genutzt, steife Räume für einen schnellen Imbiss, als ob Essen keine Bedeutung hätte und es Wichtigeres zu bedenken gäbe als verschiedene Fischrezepte. Die Brücken schaukeln nicht mehr, sondern erstrecken sich steif über künstlich angelegte Kanäle. Es sind immer noch Verzierungen an ihnen zu finden, aber sie erinnern nicht annähernd an die zierlichen, wogenden und sich kräuselnden Schnitzereien, an geschwungene Linien und runde Formen. Es gibt quadratische und rechteckige Springbrunnen. Es gibt Skulpturen, kantige, schmucklose menschliche Figuren. Das Einzige, was Tio und Ayse an die früheren Runjistädte erinnert, ist das gurgelnde und plätschernde Geräusch von fließendem Wasser, das überall zu hören ist. Trotz der allgemeinen steifen und eckigen Starrheit fließen noch viele verschiedene Bäche durch die Wasserstadt.
»Sie haben immer noch die Wasserpest«, schimpft Ayse.
»Klar«, spottet Tio, »damit sind sie reich geworden – mit dem Wasser, das sie noch immer verehren.«
»Aber ich glaube nicht, dass sie noch einen Wassertempel haben. Was meinst du?«
Tio schüttelt den Kopf. »Das glaube ich auch nicht.« Er lacht mitleidig. »Vielleicht haben sie davon Bilder in ihren Büchern. Bilder, auf denen man sehen kann, wie die wichtigen Dinge einmal ausgesehen haben. Jetzt schämen sie sich offensichtlich fast zu Tode für die ganze Ausstaffierung und den Kitsch von früher.«
Er betrachtet sein Spiegelbild, das ihn aus einer glänzenden Schaufensterscheibe anstarrt. »Wir fallen hier auf«, sagt er. »Wir glänzen nicht genug, und wir tragen mehrere Farben durcheinander. Und wir haben Hosen und Hemden an statt solche Sackkleider.«
»Sie glotzen uns an«, flüstert Ayse. »Wir gehen besser wieder. Sand ist grässlich armselig, aber ich glaube, ich finde es da besser als hier. Ich sterbe bald vor Durst, aber das hier …«, sie zeigt auf einen Automaten, aus dem sich Leute Becher mit Wasser ziehen, »… will ich nicht trinken. Ich will nicht mal wissen, was es kostet.
»Sie schmeißen Münzen rein«, meint Tio. »Wir haben noch ganz ordentlich Khansi vom letzten Mal, aber ob die hier noch was wert sind?«
»Tio, ich hab doch gesagt, ich will es gar nicht wissen. Sollen sie sich doch zum Teufel scheren mit ihrem Wasser. Wir werden doch wohl auch in Sand was zu trinken bekommen können, oder?«
Am ehemaligen Hafen von Salzland findet sich immerhin noch eine dunkle, schmuddelige Kneipe. Ayse und Tio bemühen sich, nicht an das schöne Café zu denken, das es hier einmal gegeben hat, und auch alle anderen Terrassen am Kai mit ihren bunten Sonnenschirmen und angenehmen Gerüchen. Mutig gehen sie hinein, um an der Theke nach einer Flasche Limo zu fragen. Drinnen riecht es nach alten Männern, die ihre krummen Pfeifen rauchen, und nach verschüttetem Bier. Der Kneipenwirt traut seinen Ohren nicht, als die beiden ihre ungewöhnliche Bestellung aufgeben. »Limo?«
»Ja, Limonade oder so.« Ayse lässt nicht locker. »Oder Feldbeerensaft?«
Der Wirt kichert heiser.
»Dann vielleicht Honigsüß?«, probiert es Ayse weiter.
»Bier haben wir«, sagt der Wirt. »Und es sind noch ein paar Flaschen Kartoffelschnaps da.«
»Nein, schönen Dank«, murmelt Ayse.
»Ja, und dann Wasser natürlich, wenn ihr Lust habt, euch dumm und dämlich zu bezahlen für die geschmacklose, in Fässer gefüllte Flüssigkeit.«
Ihre Gesichter hellen sich auf. »Dann geben Sie uns Wasser.«
Der Preis haut sie um. Es ist nur gut, dass Tio noch eine ordentliche Handvoll Khansi
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