Zwischenwelten (German Edition)
Kinder verteilen. Die haben ganz bestimmt in ihrem ganzen Leben noch nie so etwas probiert. Aber es war gut möglich, dass die Hütte schon wieder verschwunden war, und wer weiß, was nun an ihrer Stelle stand. Er will es nicht sehen. Vielleicht, wenn Ayse am Abend doch noch kommt und sie zusammen gehen können.
»Aber es ist schon halb acht«, sagt Ayse, nachdem sie Tios Vorschlag gehört hat. »Und ich hab zu Hause gesagt, dass ich nur ganz kurz weg bleibe.«
»Aber du weißt doch, dass die Stunden in Salzland in unserer Welt nur Minuten oder Sekunden sind. Wir haben massenhaft Zeit!«
»Aber warum willst du unbedingt noch mal gucken gehen?«
»Vielleicht können wir Micky helfen, Hugo zu finden. Ich glaube, dass er ein paar Mal im unbewohnten Sandbach war, als wir auch da waren. Er ist uns gefolgt.«
»Ziemlich gruselig«, sagt Ayse und rümpft die Nase. »Nachher tut er uns noch was an!«
Das Risiko müssen sie eingehen, findet Tio. »Wenn er hört, dass wir Micky kennen, lenkt er vielleicht ein.«
»Oder auch nicht«, murmelt Ayse und betritt hinter Tio das schwarze Zelt.
»Immer noch diese bescheuerte Trockenheit«, ist das Erste, was Tio sagt, als er Salzland vor sich liegen sieht. »Erst mal schnell bei der Familie Thorpa-Sirpa vorbei?« Er denkt kurz nach und fügt dann hinzu: »Meinst du, dass wir rauskriegen, was sie mit deinem Geld gemacht haben?«
»Meinem Geld? Unserem Geld.«
»Ich, äh … ich hab ihnen nicht alles gegeben«, gesteht Tio mit schlechtem Gewissen. »Ich hab noch was behalten. Ziemlich viel. Behalten, mein ich.« Er wird rot.
»Mistkerl.«
»Ich hab gedacht, man weiß ja nie. Der Supermarkt war verschwunden, und von einer Geldwechselstube haben sie in Sandbuche schon lange nichts mehr gehört. Und vielleicht können wir nicht mehr so einfach an Geld kommen.«
Ayse macht weiter keine große Sache daraus. Eigentlich ist es ja sogar ganz klug von Tio gewesen.
»Auf jeden Fall haben sie jetzt ein bisschen mehr als nur eine Hütte aus Pfählen und Segeltuch«, meint Tio, sobald sie den Hof von Thorpa und Sirpa sehen. »Schau mal, es ist nur eine Art Scheune, aber wenigstens ist es ganz aus Holz, hat Türen und Fenster und ein solides Dach.«
»Vielleicht hat es dann doch geholfen«, sagt Ayse leise. »Auch wenn sie da …«, sie deutet auf eine Frau, die sich auf dem Hof mit zwei Eimern abrackert, »… bestimmt nicht wissen, dass ihnen mal Geld geschenkt worden ist. Vielleicht haben ihre Vorfahren ihnen erzählt, dass sie einen Krug mit Geld auf dem Hof gefunden haben.«
»Sehr witzig«, sagt Tio betont locker und zieht Ayse schnell an dem schäbigen Hof vorbei in Richtung des salzländischen Hafenstädtchens. Er erschrickt, als er wenig später das Ortsschild am Wegrand liest. »Hoppla … Sand? Das verspricht nichts Gutes.«
»Die Buche. Die ist weggefallen.«
»Ja, buchstäblich gefallen.«
»Gefällt, nehme ich an.«
»Von Valpa?«
Ayse zuckt mit den Schultern. »Also hat er doch sein Holz gekriegt.«
»Armer Lasje. Er muss wohl ziemlich nötig Geld gebraucht haben.«
In trübe Gedanken versunken, gehen sie weiter auf die Stadt zu.
»He«, sagt Ayse plötzlich und bleibt stehen. »Da, direkt vor uns, sind das nicht die Kinder von Thorpa und Sirpa?«
»Die beiden älteren«, bestätigt Tio. »Thorje und Sirje. Sie haben Mappen auf dem Rücken. Sieht aus, als kämen sie aus der Schule.«
Die Kinder grüßen die Fremden freundlich, aber distanziert, und kichern verstohlen über die komischen Klamotten, die die beiden anhaben.
Tio und Ayse schauen sich an. Sie tragen eine eigenartige Mischung aus eigener Kleidung, salzländischen Sachen und Runjistoffen. Und wer weiß, wie sich die Mode hier verändert hat.
Tio fängt ein Gespräch an. Er räuspert sich und fragt: »Ihr wart sicher in der Schule?«
Die Kinder nicken, sagen aber nichts.
»Das hab ich mir gedacht.« Mehr fällt ihm nicht ein.
Ayse zeigt auf die Taschen, die die Kinder auf dem Rücken haben. »Als ich klein war, hatte ich genauso eine Schulmappe.«
Der Junge tritt schnell einen Schritt zurück und blickt Ayse misstrauisch an.
»Mensch, die nehmen sie dir schon nicht ab«, zischt ihm seine Schwester zu.
»Ach nein?« Thorje ist sich da nicht so sicher. »Schulsachen sind teuer.«
»Das weiß ich doch, aber die sind doch längst nicht mehr in der Schule.« Sirje blickt zu Tio hoch, der sie mit seinen einmetersiebzig weit überragt. »Sie brauchen deine blöden Sachen wirklich nicht,
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