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Zwischenwelten (German Edition)

Zwischenwelten (German Edition)

Titel: Zwischenwelten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mariëtte Aerts
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Ayse. »Ich will doch noch einmal über eure komische Vorstellung lachen.« Sie grinst. »Und jetzt bringe ich das …«, sie tippt auf ihren Rucksack, in dem die Schnitzerei steckt, »… nach Hause. Ich stelle Kivans Kunstwerk in mein Zimmer, auf die Kommode neben meinem Bett. Kann ich den Rucksack und die Runjiklamotten wieder bei dir lassen? Das Bild kann ich in die Wohnung schmuggeln, aber wenn ich mit einem ganzen Sack voll Kram ankomme, dann denken sie noch, ich hätte einen Laden ausgeraubt.«
    »In Ordnung«, sagt Tio. »Ich heb das für dich auf.«
    Ayse winkt ihm zum Abschied zu. Dann geht sie an Wagen und Zelten vorbei, bis sie das rote Kuppelzelt von Buba entdeckt. Unschlüssig bleibt sie stehen. Sie sieht, wie sich die auffallende Erscheinung in den bunten Kleidern gerade vor dem Zelt ins Gras setzt. In den Händen hält Buba eine kleine Schüssel. Langsam geht Ayse auf ihn zu.
    Buba hat sie kommen sehen und nickt ihr schon von Weitem zu. »Guten Appetit«, wünscht Ayse, als sie neben ihm steht. Sie schaut auf das Schüsselchen in seinen Händen, das aus graubraunem Holz ist und einen mit kleinen Wellen verzierten Rand hat. Ayse lächelt. »Ich hab auch so was«, sagt Ayse. »Na ja, schon etwas anders, meins ist eine Art Bild, einfach nur schön.« Locker setzt sie sich ihm gegenüber ins Gras und zieht genau wie er die Knie zum Schneidersitz an. »Die Verse …«, fängt sie an. Dann hält sie inne. »Ich denke, ich mache den Vers noch fertig. Sobald ich weiß, was er bedeuten soll.«
    Buba nickt ermutigend.
    »Ich glaube, ich weiß schon fast, wie es werden muss.« Ayse zögert. »Noch nicht ganz, aber beinahe. Kann ich auch etwas verändern?«
    »Du kannst damit machen, was du willst.«
    »Der Vers von Micky wird auch gut. Es geht doch um dasselbe Thema, oder? Es macht nichts aus, ob man es Wir und Ihr oder gerade andersherum nennt. Genauso wie es nichts ausmacht, ob Menschen Runji oder Salzländer oder ganz anders heißen. Sie sind alle nur Menschen, und manchmal haben sie Glück, und manchmal haben sie Pech. Manchmal sind sie dumm und manchmal klug.« Ayse zuckt mit den Schultern. »Sie streiten oder sind beleidigt, oder sie werden habgierig und missbrauchen alles. Manchmal kann man dem zuvorkommen, aber nicht immer, denke ich. Es ist schade, dass man nicht immer überall rechtzeitig sein kann. Dann könnte man noch was ändern. Im echten Leben ist das total schwierig, das kann man an all dem Elend im Fernsehen sehen. Wenn wir hier doch nur auch die praktischen Rückwärtstreppen hätten!« Verblüfft über ihren eigenen Wortschwall, schweigt sie ein paar Sekunden. Aber dann redet sie doch weiter. »Wenn du immer nur denkst, dass es ein Wir und ein Ihr gibt, dann fängst du von ganz allein mit dem Streiten an, dann fängst du vielleicht irgendwann an, die Ihr zu hassen, weil du denkst, dass sie anders sind als wir, besser oder stärker, oder dass sie einfach immer mehr Glück hatten und dass das nicht gerecht ist. Wenn es in der wirklichen Welt auch Rückwärtstreppen gäbe, dann könntest du in der Zeit zurückgehen und wieder ausbügeln, was danebengegangen ist. So könnte man jedem Krieg zuvorkommen. Wirklich sehr schade, dass das nicht geht. Vielleicht sollten die Menschen deshalb einfach ein bisschen vorsichtiger sein, gerade deshalb, weil nichts ungeschehen gemacht werden kann. Wenn du einmal eine Bombe geworfen hast, kannst du die Bombe nicht mehr ungeworfen sein lassen. Verstehst du, was ich meine?« Sie muss über ihre dumme Frage lachen. »Ja, natürlich verstehst du, was ich meine, du hast mich ja selbst nach Salzland geschickt, um dort das Spiel zu spielen. Oder?«
    Buba sagt weder Ja noch Nein, er lächelt nur kurz und isst unbeirrt weiter aus seiner Schüssel.
    »Du redest auch nicht viel, was?« Ayse seufzt tief und steht auf. »Also, dann gehe ich mal wieder. Vielleicht bis morgen.«
    »Tschüss, Ayse.« Buba nickt und verabschiedet sich mit einem Augenzwinkern.
     

Ayse rennt in ihr Zimmer. Sie hat den ganzen Vormittag bei allen möglichen langweiligen Kleinigkeiten im Haushalt helfen müssen, und jetzt darf sie endlich raus. Sie schiebt die Hausschuhe unters Bett und zieht ihre Sandalen an. Dann holt sie jede Menge Krimskrams aus ihren Taschen – ein Papiertaschentuch, ein paar beschriebene Zettel – und wirft alles auf ihren Schreibtisch.
    Auf dem Weg zur Wohnungstür greift sie sich die dünne Jacke vom Kleiderständer, denn draußen nieselt es. »Bis nachher!«, ruft

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