Zwischenwelten (German Edition)
»Na, Moppi, dann müssen wir woanders spazieren gehen. Wohnwagen und Zelte … das finden wir nicht so …« Er beendet den Satz nicht. »Na ja, von wegen Zelte … aber nein, das wirst du nicht meinen.«
»Was denn?«
»Hier hat so ein kleines rotes Kuppelzelt gestanden, da, weiter vorne, von irgendso einem wilden Camper. Das geht nicht, weißt du, die dürfen nicht einfach …«
»Wo?«, unterbricht Ayse den Mann.
»Das Zelt? Ach, da, hinter dem Steinhaufen. Es war ein kleines Kuppelzelt, so ein modernes Ding für eine Person, nicht wie wir früher …«
»Vielen Dank«, sagt Ayse und rennt in die Richtung, in die der Mann gezeigt hat. Sie betrachtet den Boden genau. Ein gelbliches Rechteck hebt sich deutlich vom Grün ab, ein Rechteck aus gelblichem, platt gedrücktem Gras. Ja, da hat ein Zelt gestanden.
Ayse spürt Tränen in ihren Augen prickeln. »Der ist auch auf und davon!« Sie stampft mit dem Fuß auf. »Aber da stimmt doch was nicht.« Warum hat Bubas kleines Zelt einen Abdruck hinterlassen und die anderen nicht? Von den großen Zelten wie dem von Tio und seinem Vater müsste auf jeden Fall eine Spur – viel größer als dieses alberne Viereck – im Gras zu sehen sein. Auch von den Rädern der Wagen. Und da müssten platt getretene Pfade sein, wo die Leute von Zelt zu Zelt und von Wagen zu Wagen gegangen sind.
Doch hier ist nichts außer dem einen gelblichen Viereck. »Was hat das zu bedeuten? Dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin? Dass ich Buba zwar begegnet bin … mir den Rest aber zusammengesponnen hab?« Ayse starrt das Viereck lange an. »Buba habe ich getroffen. Das weiß ich genau.« Sie streckt den Arm aus und blickt auf das geknüpfte bunte Band an ihrem Handgelenk. Auch das Viereck im Gras bestätigt einen Teil ihrer Geschichte. Doch alles andere steht im Widerspruch zu der völlig unberührten Wiese. Hier kann kein schwerer Wohnwagen tagelang mit seinen Rädern auf dem Lehmboden gestanden haben, kein Zauberzelt auf dem Löwenzahn, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. »Das finde ich ganz schön mies von dir, Babatunde, wenn sich herausstellt, dass du mich das alles nur hast träumen lassen, dass du mich hypnotisiert hast, damit ich Tio und die Zelte und Seraphina und … und … nein! Wie billig!« Wütend schlägt sie mit den Fäusten ins Gras. Aber warum sollte Buba so etwas tun?
Dann schüttelt Ayse den Kopf. Langsam dämmert es ihr. Sie fragt sich noch, ob sie nicht doch falsch liegt, aber dann weiß sie es plötzlich ganz sicher. Sie steht auf und geht zu der Stelle, wo das Zelt von Tios Vater gestanden hat. Sie lässt sich auf die Knie sinken und berührt das grüne Gras. Sie bekommt Gänsehaut auf den Armen, doch ein befreiendes Lachen kribbelt in ihrem Hals. »Natürlich!«, flüstert sie. So wie hier keine Spuren von Sandelenbach, Terrasse oder den Bewohnern der anderen Parallelwelten zu finden sind, so gibt es auch keine Spuren von Tio, dem Zauberzelt und den anderen Menschen der Wanderbühne. Nur der Magier Buba weiß die Türen zu den Welten zu öffnen, nur wenn er dabei ist, sind die Öffnungen sichtbar. Sollte Tio an diesem Nachmittag irgendwo auf der Suche nach dem Mädchen Ayse sein, von dem er geglaubt hat, ihr in einer gemeinsamen Welt begegnet zu sein, kann er sie dann auch nicht mehr finden? So wie die schwarze Kiste das Portal für den Zugang nach Salzland war, so hat es für Ayse irgendwo eine andere Tür für den Zugang zur Wanderbühne gegeben. Aber wo war das Portal zu Tios Welt die ganze Zeit? Irgendwo direkt vor Ayses Haustür oder vielleicht auf der Wiese unter dem großen Bogen, auf dem »Die älteste Wanderbühne, die es gibt!« zu lesen war?
Sie hat nichts davon geträumt, nichts davon fantasiert.
Ihr fällt Kivans Schnitzerei wieder ein. Die lag heute Morgen noch auf ihrem Schreibtisch. Sie hat sie da gesehen, als sie die Zettel dazugelegt hat. Die Zettel! Den ersten hat sie in Tios schwarzer Zauberkiste gefunden. Sie muss ein bisschen grinsen. Der Vers. Die Aufgaben, die Buba für sie aufgeschrieben hat, die sie lösen sollten. Für sie beide, für Tio und sie? Für Ayse und wen? Tio fand sie nicht so wichtig. Ob Micky die gleichen Zettel in ihrem Zimmer liegen hat, und ja, in welcher Welt gibt es dieses Zimmer wohl? In derselben Welt, in der Ayse lebt? Oder vielleicht in der, in der auch Tio wohnt? Sie schlendert zu der Stelle, wo nach ihrer Erinnerung der Wohnwagen von Tio und seinem Vater gestanden hat. »Ich weiß nicht,
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